■ Stadtmitte: Das totalitäre DDR-Syndrom
Hoyerswerda, Hünxe, Rostock, Solingen, Magdeburg und Lübeck – Orte neuer deutscher Schande. Dennoch ist hier erschreckend Verschiedenes geschehen. Während es sich nämlich im Westen um ideologisch motivierte, hochkriminelle Akte von Einzeltätern handelte, finden im Osten Ausschreitungen statt, die den Charakter von Pogromen haben. Da zünden Hunderte von Jugendlichen ein Asylbewerberheim an oder jagen am hellichten Tag Menschen anderer Hautfarbe. Dies alles unter Zustimmung der Bevölkerung wie in Rostock oder ermutigt vom Schweigen der Passanten wie in Magdeburg und der nahezu unglaublichen Hilflosigkeit der Polizei, die nur noch als klammheimliche Parteinahme für die Täter verstanden werden kann.
In diesen kollektiven Handlungen spiegeln sich die alltägliche DDR und die tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen in der Diktatur. Sie sind Ergebnis der seelischen Deformationen durch die Allmacht eines Partei- und Staatsapparetes, der auf die umfassende (totale) Beherrschung des Denkens, Fühlens und Handelns seiner Bürger zielt. Dies alles unter der Bedingung der Unentrinnbarkeit für den einzelnen durch Mauer und den Terror der Bespitzelung. Die jüdische Philosophin Hannah Arendt schrieb: „Autoritäre Herrschaft schränkt die Freiheit ein, totalitäre Herrschaft schafft die Freiheit ab.“ In diesem Sinn war die DDR ein totalitärer Staat. Bei den Menschen blieb ein Bündel psychosozialer Traumata zurück. Bei der Gesamtheit dieser Erscheinungen, die teilweise unbewußt bleiben, kann von einem totalitären Syndrom (Krankheitsbild) gesprochen werden. Dieses hauptsächlich wirkt in den Pogromen von Hoyerswerda, Rostock und Magdeburg.
Eine widerlich larmoyante Nostalgiewelle, die von den ehemals privilegierten DDR-Eliten ausgeht und die mit politischer Geschicklichkeit die Klage über Status- und Machtverlust an berechtigte soziale Unzufriedenheit ankoppelt, terrorisiert die Republik. Sie tut so, als ob es Bereiche des totalitären Staates gäbe, die erhaltenswert wären. Einige Westlinke, denen der Untergang der DDR das Feindbild BRD gefährdete und ihre Utopie bedroht, mischen da kräftig mit.
Es kann nicht geschwiegen werden, wenn sich in Deutschland ein Klima entwickelt, das auf eine Verdrängung der DDR-Diktatur und ihrer Folgen hinausläuft. Jetzt die Entschuldung kommunistischer Täter zu fordern und durchzusetzen, ähnlich der Entschuldung der Täter der Nazidiktatur in der Adenauer- Ära, müßte für Linke eine schlichte Ungeheuerlichkeit sein, auch wenn es sich um die Kleintäter des DDR-Alltags handelt. Wer sich dem widersetzt, will nicht Rache, sondern kennt jenes totalitäre Syndrom genau, das verdrängt fortwirkt und immer wieder für das Entstehen antidemokratischer Stimmungen und Haltungen, letztlich für neue Pogrome verantwortlich sein wird.
Wir müssen deshalb ein gesellschaftliches Klima der Auseinandersetzung und Verantwortung für die DDR-Vergangenheit schaffen, das im Einzelfall auch juristische und strafrechtliche Verantwortung einschließt. Die Regelanfrage zur Stasimitarbeit im öffentlichen Dienst mindestens bis zur Jahrtausendwende ist ein wichtiges Instrument, ihn frei von Spitzeln und Zuträgern totalitärer Herrschaft zu halten. Die Einzelfallüberprüfung ist zugleich ein wichtiges Instrument, um in allen Fällen von Verstrickung in die Diktatur richtige Entscheidungen zu treffen. Hier sind allerdings Verbesserungen in der Frage der einheitlichen Gestaltung von Maßstäben für einen Verbleib im öffentlichen Dienst trotz Belastungen notwendig.
Eine demokratische Linke muß die Weiterexistenz einer totalitären Linken zur Kenntnis nehmen, die sich insgesamt, je nach Bedarf, mit linker Phraseologie schmückt, durchaus, wo taktisch geboten, konservative Idoelogie nutzend, im Kern aber unter dem Stichwort Differenzierung die Relegitimierung der DDR-Eliten um den Preis von Geschichtsklitterung betreibt. Im Grunde beschwört die totalitäre Linke die Geister, die zu bekämpfen sie vorgibt, immer wieder selbst herauf – sie ist mitverantwortlich für die Pogrome im Osten Deutschlands. Christian Pulz
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