Das Leuchten der Lämmer Von Ralf Sotscheck

Ostern ist für Füchse das, was Weihnachten für Menschen ist: eine Zeit der Völlerei. Ab Ostern stehen nämlich die appetitlichen Lämmer auf der Weide – für Füchse ein Supermarkt zum Nulltarif. Seit ein paar Wochen sind die Pelztiere daher aus den Mülltonnen der Dubliner Außenbezirke verschwunden, wo sie sich den Winter über mit verwertbaren Abfällen eingedeckt hatten. Jedes Frühjahr zerbrechen sich die irischen Bauern den Kopf, wie sie ihre Lämmer vor den Füchsen schützen können – meist vergeblich. Ihre englischen Kollegen haben in diesem Jahr Lamas aus Peru für umgerechnet rund 1.300 Mark pro Tier importiert. US-Wissenschaftler haben nämlich herausgefunden, daß die Lamas sich mit den Schafen anfreunden und jeden attackieren, der etwas Böses gegen die Herde im Schilde führt. Füchse ziehen dabei natürlich den kürzeren. In Irland hat man jetzt eine billigere Lösung gefunden: Leuchtfarbe. Pat Leahy von der landwirtschaftlichen Importfirma „Agristock“ in der Grafschaft Tipperary hat im vergangenen Jahr einen Zeitungsartikel über die fluoreszierende Spezialfarbe gelesen und beschlossen, sie zu importieren. Seitdem gehen Bestellungen aus dem ganzen Land ein, die Firma kommt mit den Lieferungen kaum nach. Die Farbe, mit der die Lämmer eingesprüht werden, gibt es in rot, orange, grün und blau. „Grün verkauft sich nicht so gut“, sagt Leahy. „Vermutlich fürchten die Bauern, sie könnten ihre Lämmer bei Tageslicht auf der grünen Weide nicht mehr finden.“ Orange ist auch nicht sonderlich beliebt, könnte man es doch für eine politische Äußerung halten: Es ist die Farbe der protestantischen Oranier-Orden, die jeden Sommer für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich mit gewaltigen Paraden demonstrieren. Allerdings nehmen daran keine Lämmer teil, sondern höchstens fossile Schafsköpfe. Vielleicht sollte man die ebenfalls einsprühen, damit man sie nach dem unvermeidlichen Besäufnis zum Abschluß jeder Parade leichter wieder einsammeln kann.

Doch zurück zu den Tieren. Pat Leahy ist von dem durchschlagenden Erfolg seiner Fuchsfernhaltungsleuchtfarbe selbst überrascht. „Ich kann keinen hundertprozentigen Schutz garantieren, aber die Bauern sagen, daß es bei ihnen funktioniert“, sagt er. „Ich nehme an, daß der Fuchs einen Bogen um alles macht, was er nicht kennt. Ein Lamm, das nachts leuchtet, kommt ihm wahrscheinlich komisch vor.“ Einer von Leahys Kunden, ein Bauer aus Offaly, bestätigte das. Ihm sei bisher keins der lackierten Lämmer abhanden gekommen, während er im vergangenen Jahr, als die Tiere noch im Naturzustand auf der Weide standen, hohe Verluste zu beklagen hatte. Er gab jedoch zu bedenken, daß sich die Füchse mit der Zeit an die bunten Leckerbissen gewöhnen könnten, so daß man sich dann eine neue Abschreckungsmethode einfallen lassen müsse. „Solange es aber mit der Farbe noch klappt, benutze ich sie auch“, sagte er. Unbestätigten Meldungen zufolge soll der Alkoholverbrauch unterdessen in demselben Maß gesunken sein, wie der Verbrauch an Leuchtfarbe zugenommen hat. Zahlreiche Menschen sollen bei ihrem Beitritt zum Temperenzler-Orden auf die Frage nach dem Grund für ihre Läuterung geantwortet haben: „Das Leuchten der Lämmer.“