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Herausforderung Brustkrebs

Früherkennung schützt nicht vor Brustkrebs / Künstlich erzeugte Wechseljahre als Prävention? / Patientinnen fordern mehr Ursachenforschung  ■ Von Eva Schindele

„Seit fünfzig Jahren starren wir auf die Brüste und vergessen dabei die Frauen“, resümierte der israelische Krebsforscher Gershom Zajicek selbstkritisch vor einer vorwiegend männlichen Zuhörerschaft. Der Schauplatz: ein internationaler Brustkrebskongreß, kürzlich veranstaltet vom renommierten britischen Medizinjournal Lancet im belgischen Brügge. Das Motto: die Herausforderung durch den Brustkrebs.

Trotz Früherkennungsprogrammen, Chemo- und Hormontherapie sterben heute mehr Frauen an den Folgen von Brustkrebs als vor zwanzig Jahren. Das brachte Frauen mit Brustkrebs vor allem in den USA, Kanada und England auf die Barrikaden und viele Wissenschaftler zum Nachdenken oder gar zum Umdenken.

Gerade in Deutschland wird von Medizinern vehement die Auffassung vertreten, regelmäßige Vorsorge schütze am besten. Dagegen der britische Brustkrebsspezialist Michael Baum: „Die Vorstellung, daß wir Brustkrebs durch die Mammographie in einem frühen Stadium entdecken können, ist nicht nur albern, sondern auch veraltet.“ Viele Studien weisen inzwischen in diese Richtung. Scheinbar hängt das Überleben viel weniger davon ab, wann die Diagnose Brustkrebs gestellt wird, sondern welche Wachstums- und Streuungseigenschaften der Tumor hat. Und wie die Immunabwehr der Frau die ausgeflippten Zellen selbst in Schach halten kann. Immerhin fanden Pathologen bei einer Reihe von verstorbenen Frauen Krebsknoten in der Brust, obwohl ihre Todesursache eine völlig andere war.

Wenn Frauen an Brustkrebs sterben, dann nicht am Tumor selbst, sondern an den Tochtergeschwülsten in Leber, Lunge oder Knochen. Aber nicht jeder Krebsknoten in der Brust bildet Metastasen. Doch welche Geschwulst ausartet und welche nicht, ist oft schwer vorauszusagen. Bislang gelten das Alter der Frau, die Größe des Knotens, der Lymphknotenbefall und die Ansprechbarkeit auf eine Hormonbehandlung als die wichtigsten Prognosefaktoren. Doch sind bereits bei 28 Prozent der Frauen mit einem sehr kleinen Krebsknoten Tumorzellen im Knochenmark nachzuweisen, wie eine Forschergruppe des Münchener Instituts für Immunologie herausfand. Dies widerspricht der gängigen Auffassung, Frauen heilen zu können, wenn der Knoten in der Brust „rechtzeitig“ entdeckt und entfernt worden ist.

„Nach allem, was man inzwischen weiß, ist die Krebsfrüherkennung in den letzten zwei Jahrzehnten als Instrument wesentlich überschätzt worden“, sagt die amerikanische Ärztin und Brustkrebsaktivistin Susan Love. Internationale Studien geben ihr recht. Danach profitieren nur Frauen zwischen 50 und 59 von einer regelmäßigen röntgenologischen Untersuchung der Brust, und das auch nur geringfügiger, als bisher angenommen. Insofern hat es zumindest statistisch einen Sinn, wenn – wie gerade in Deutschland geschehen – Frauen über 50 die regelmäßige Mammographie zur Früherkennung angeboten wird. Dagegen widerspricht die Empfehlung des Berufsverbandes der Frauenärzte, daß Frauen ab 35 ihre Brüste regelmäßig screenen lassen sollten, völlig der internationalen Diskussion. Spricht der Heidelberger Radiologieprofessor Dietrich von Fournier von einer „ärztlich-ethischen“ Forderung, so hält der britische Brustkrebsspezialist Michael Baum die systematische Krebsfrüherkennung bei Frauen unter 50 geradezu für unethisch: „Man schädigt Frauen damit mehr, als daß man ihnen nutzt“, so der Fachmann. Die Gründe: Frauen haben vor den Wechseljahren eine meist strahlendichte Brust. Dies führt zu häufigen falschen Verdachtsdiagnosen und damit unnötigen Gewebeprobeentnahmen. Möglicherweise wird dadurch erst eine Streuung von Krebszellen initiiert. Außerdem werden Grenzbefunde, nur „um auf Nummer Sicher zu gehen“, bereits häufig als pathologisch eingestuft. Dementsprechend wird mehr operiert, chemotherapiert und mit Hormonen behandelt. Gesunde Frauen werden plötzlich zu kranken diagnostiziert – ein Effekt, der gerade in den Ländern, in denen das mammographische Screening schon länger propagiert wurde, festzustellen ist. Die kanadische Brustkrebsspezialistin Susan Batt: „Die Brustkrebsepidemie ist auch zum Teil eine von Medizinern gemachte.“ Und tatsächlich: Mit Statistiken wird nicht nur Angst geschürt, sondern auch Politik gemacht. In Medizinerkreisen spricht man bereits unter vorgehaltener Hand, daß Mammographien das Geschäft der 90er Jahre für die Radiologen sind.

Die Entdeckung des Brustkrebsgens scheint die Panik unter den Frauen noch zu steigern. Im vergangenen Jahr wurde auf dem Chromosom 17 ein von der Norm abweichendes Gen entdeckt, das für eine bestimmte Form von vererbbarem Brustkrebs verantwortlich ist. Fünf Prozent aller Brustkrebspatientinnen sollen davon betroffen sein. Ist die Frau Trägerin dieses Gens, dann wird sie irgendwann in ihrem Leben mit 60- bis 80prozentiger Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkranken. Wirksame Therapien gibt es nicht. Daß sich manche betroffene Frauen aus Angst, irgendwann einmal an Brustkrebs zu erkranken, bereits schon vorsorglich die Brüste und Eierstöcke wegoperieren lassen, zeugt von extremer Ratlosigkeit.

Was also tun? „Wir müssen neue Wege gehen“, forderte die Mehrzahl der Forscher in Brügge. Damit rennen sie bei den amerikanischen Brustkrebsaktivistinnen offene Türen ein. Die Frauen waren es schließlich, die in den letzten Jahren durch ihre Aktionen die Wissenschaftlergemeinde erst aufgemischt haben. „Es war höchste Zeit, daß wir uns mehr einmischten“, meint Susan Love, „denn um neue Wege gehen zu können, braucht man mehr als nur statistische Überlebensraten, nämlich die Erfahrungen der Patientinnen. An deren psychosozialen Bedürfnissen sollen sich Forschung und Therapie mehr als bislang orientieren. Nur wenn man die Entstehungsgeschichte von Brustkrebs verstehe und wisse, wieso Frauen an Brustkrebs erkrankten, könne man ihn auch im Vorfeld verhindern. So wird inzwischen erstmalig der Frage nachgegangen, inwieweit Umweltgifte Brustkrebs verursachen können. Erste Untersuchungen der New Yorker Mount Sinai Medical School zeigen inzwischen, daß bestimmte Chlorverbindungen die Zellteilung in der Brust stimulieren und damit auch ein mögliches Tumorwachstum.

Auch andere Möglichkeiten der Prävention werden angedacht: mehr sportliche Aktivitäten im Teenageralter, gesündere Ernährung, mehr Kinder, frühere Schwangerschaften oder ausgedehnteres Stillen. Einige Forscher träumen von der Wunderpille, die nicht nur Schwangerschaften verhütet, sondern auch vor Brustkrebs schützt. Einer von ihnen ist Malcolm Pike, Professor an der Universität von Los Angeles. Mit Hilfe der sogenannten GnrH-Antagonisten legte er den hormonellen Rhythmus von 31 Frauen bereits in der Hirnanhangdrüse lahm. Die Frauen, alle zwischen 28 und 35 Jahre alt, kamen dadurch in künstliche Wechseljahre. Gegen die Wechseljahrebeschwerden bekamen sie eine niedrige Dosis Östrogen verabreicht. Pike freut sich: „Den Frauen ging es besser. Sie bekamen nur dreimal im Jahr ihre Blutungen, und ihr Brustgewebe war weniger aktiv.“ Während die amerikanische Aktivistin Susan Love dies zumindest als eine vertretbare Strategie für Hochrisikogruppen ansieht, kritisiert die Mehrheit der Brustkrebspatientinnen diese Denkweise. Susan Batt: „Sie experimentieren einfach, ohne die Nebenwirkungen zu kennen.“ Eine Kritik, die sich jüngst bei dem Östrogenblocker Tamoxifen bewahrheitet hat. Dieses Medikament, das vor allem nach einer Brustkrebsoperation gegeben wird, um eine Rezidivbildung zu verhindern, ist in den letzten Jahren auch zunehmend präventiv eingesetzt worden. Inzwischen zeigen mehrere Studien, daß Tamoxifen zwar das Brustkrebsrisiko vermindert, dafür aber vermehrt Gebärmutterkrebs auslöst.

Eva Schindele schrieb: „Pfusch an der Frau. Krankmachende Normen, überflüssige Operationen, lukrative Geschäfte“, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1993, 280 Seiten, 35 DM

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