: Das Ich aus der Erde buddeln
■ Bodenskulptur zum umgraben der Gruppe Kobalt in Harburg
Wilde Trommeltöne erfüllen den Campus der Technischen Uni Harburg mit Leben. In schräg-schrillen Kleidern adaptiert die Frauenpercussiongruppe Trude Träumt von Afrika schwarze Rhythmen, macht allein durch die Differenz zwischen Musik und Auftreten klar, aus welch' verschiedenen Bruchstücken Identität zusammengesetzt ist. Anlaß ihres Auftritts am vergangenen Samstag: Die Einweihung einer konzeptionellen Bodenskulptur der Künstlerinnengruppe Kobalt im Frauenkulturhaus Harburg.
In langfristigen Überlegungen zum aktuellen Thema der kriselnden Selbstbestimmung von Personen, Gruppen und Ethnien haben sie das Projekt Identität und Zeichen entwickelt. 400 Botschaften wurden in Ton gebrannt und in sieben Kubikmeter Mutterboden eingearbeitet, das Ganze zu einer sechsseitigen, asymetrisch liegenden Pyramidenform gestaltet. „Je eine Seite für die fünf Künstlerinnen, und statt der fehlenden Spitze eine Fläche für die Idee der Kunst“, erläutert Anke de Vries als Sprecherin der Gruppe. Wird die Pyramide wunschgemäß geplündert, kommen ganz unterschiedlich aufgefaßte Identitätsbausteine auf Tontafeln ans Licht: Die Großbuchstaben „DM“ hinter einem Zaun und andere deutsche Zeichen von Anke de Fries oder erinnerte Kinderfiguren, in denen die eigene Lebensgeschichte gerinnt, von Gabriele Henzler.
Bruni Regenbogens Frosch-Objekte kommen aus der Auseinandersetzung mit Entwicklungsgeschichte und Entwicklungsprojektionen. Insa Härtel definiert das Subjekt vielgestaltig: „Ich bin viele“, und Gabriele Sievers bietet ihre Lieblingsaphorismen an: „Ich suche nicht, ich finde – Picasso“. In der medialisierten Welt von heute könnte man den Satz in einer nicht ganz so klar geritzten Scherbe auch so lesen: Ich suche mich, ich finde Picasso.
Zu ganz anderen, barbarischen Interessen nutzen dagegen die lieben Kleinen die Situation: In rasender Geschwindigkeit und mit maximaler destruktiver Kompetenz zerwühlten zwei Vorschulkinder jegliche Gestaltung. Nicht der Geist der Schatzsuche scheint sie zu treiben, sondern der unbestimmte Wille zur Zerstörung jeder vorgefundenen Form. So bleibt schon kurz nach der feierlichen Übergabe an die Öffentlichkeit nur noch ein amorpher Haufen zurück, der nun für sechs Wochen für archäologische Feldforschung der Gegenwart zur Verfügung steht. Doch anders als gegenüber der Vergangenheit stehen hier die Verursacherinnen der Bodenfunde zur Befragung zur Verfügung: Jedes Bruchstück trägt auf der Rückseite den Absender - Mitteilungen über das Erleben der Finder sind dringend erwünscht.
Hajo Schiff
Grabungsskulptur: TU Harburg, Eißendorferstr. 32; Kontakt: Tel. 772256
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