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Meine kleine Kulturrevolution

Wie eine chinesische Lehrerin ganz allein an sich selbst den Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft vollzog: Begegnung im Zug von Peking nach Lanzhou, aufgezeichnet  ■ von Jutta Lietsch

Sind Sie allein im Abteil? Dann setze ich mich ein wenig zu Ihnen, dahinten ist es zu langweilig. Sie interessieren sich für Chinas Wirtschaft? Ha, ich hätte nie gedacht, daß ich mich einmal dafür interessieren würde. Ich bin eigentlich Dozentin für Chemie an einer Fachhochschule in Lanzhou. Aber das Institut hat kein Geld, die Chemikerausbildung ist nicht weitergeführt worden, deshalb unterrichte ich lediglich noch Techniker im Nebenfach. Weil ich jetzt nur noch so wenige Stunden geben kann, bekomme ich nicht mehr als mein Grundgehalt, 150 Yuan [30 Mark] im Monat.

Also eigentlich gehe ich kaum noch zum Unterrichten ins Institut. Aber zu Hause sitzen und putzen, das hätte ich nicht ausgehalten. Die Institutsleitung hat gesagt, da sie uns nicht mehr bezahlen kann, sollen wir unsere Fähigkeiten der Gesellschaft anbieten. Dann können wir etwas dazuverdienen. Das war 1987. Gut, habe ich mir gesagt, dann vermarkte ich mich eben.

Aber wie? Ich weiß, man muß flexibel sein, aber den Gedanken, einen Imbißstand aufzumachen oder Kleider zu verkaufen, den konnte ich nicht ertragen. Ich bin schließlich Chemikerin. Also habe ich ein Forschungsinstitut gegründet: das besteht nur aus mir. Dann bin ich zu allen möglichen Firmen gegangen und habe angeboten, für sie chemische Untersuchungen zu machen.

Aber die haben abgewinkt. Die haben mich alte Frau angeguckt und gedacht, was kann so ein Bücherwurm schon für Ideen haben. Oder sie hatten kein Geld. Lanzhou ist ja eine große Industriestadt. Waren Sie schon mal da? Ja, da gibt's Schwerindustrie, auch viele Chemiefabriken. Die Luft ist wirklich schlecht. Aber den meisten staatlichen Unternehmen geht's nicht gut. Das ist nicht wie in Peking oder Shanghai. Die sind nicht so flexibel und kommen mit den Reformen einfach nicht klar. Und außerdem hatte ich keine Beziehungen zum Management der Firmen, da saßen keine ehemaligen Studenten von mir, die sich ihrer Lehrerin gegenüber verpflichtet gefühlt hätten.

Also hieß es: selbst etwas herstellen. Aber dafür braucht man Kapital. Mein Mann hat gesagt: Du spinnst. Ich habe schließlich zehntausend Yuan [2.000 Mark] zusammengekratzt und angefangen, Parfum herzustellen. Dafür gibt es jetzt nämlich einen Markt, seitdem die Leute ein bißchen mehr Geld haben. Natürlich kann sich kaum jemand was Teures wie „Poison“ leisten. Das kommt aus Frankreich. Ein Duftwasser herzustellen ist ja nicht schwer. Ich mach' das bei uns im Institut, die Laboreinrichtungen stehen da ja rum.

Aber dann habe ich gemerkt, daß ich nicht genug Geld hatte, richtige Fläschchen dafür zu besorgen – die auch noch dichte Verschlüsse haben. Und hübsche Etiketten. Die Kaufhäuser, denen ich mein Parfum angeboten habe, haben abgewinkt, das sah einfach nicht gut genug aus. Und die Fläschchen leckten ja auch. Dazu kam, daß man für Parfums, Cremes, Make-up und alles, was auf die Haut kommt, hohe Steuern zahlen muß, 50 Prozent. Gut, habe ich mir gesagt, dann nenne ich das eben nicht mehr Parfum, sondern Zimmerfrischespray.

Unser ganzes Haus riecht jetzt nach meinem Duftwasser. Mein Mann hat nämlich das Regal, auf dem ich die Fläschchen aufbewahre, aus der Wohnung verbannt. Jetzt stehen sie oben im Flur. Was die Nachbarn denken, weiß ich auch nicht. Die machen nur die Tür ganz fest zu.

Ich bin eben Wissenschaftlerin, und da mache ich alles gründlich. Ich habe mir gleich ein Buch über Steuern gekauft. Und als ich mein Unternehmen angemeldet habe – ich gehöre jetzt zu den Unternehmen, die in der Sonderwirtschaftszone von Lanzhou registriert sind –, da konnten die vom Amt mir nichts vormachen. Ich habe einfach das Buch mitgebracht und denen gezeigt, wo die Vorschriften stehen. Und ich bin nicht mit Geschenken hingegangen. Wissen Sie, das machen die einfachen Leute, die keine Bildung haben. Die denken immer, sie müssen Geschenke mitbringen, nur um angehört zu werden! Sie wissen keinen anderen Weg. Ich gebe nie Geschenke. Nur wenn mir wirklich jemand geholfen hat.

Aber immer noch kein Laden wollte die Sachen für mich verkaufen. Gut, habe ich mir gesagt, dann versuche ich es auf dem Markt. Gerochen haben es die Leute gerne, aber die Fläschchen waren nicht ansprechend genug. Also mußte ich mir etwas anderes einfallen lassen. Da habe ich gelesen, daß im Ausland manche Firmen eine Kombination haben: Parfum und eine Kleidermarke. Dann werde ich eben Kleider verkaufen und mein Parfum umsonst dazugeben, dachte ich mir. Kleider produzieren war aber zu teuer, da muß man zuviel investieren. Und wenn keiner die Kleider kauft, ist der Verlust zu hoch. Ich muß ja mein Geld zusammenhalten.

Also Hüte und Mützen. Ich habe ausländische Modemagazine durchgesehen und ein paar Modelle ausgeguckt. Dann bin ich nach Peking gefahren und zum großen Warenhaus in der Wangfujin-Straße gegangen. Die waren ganz interessiert und haben gesagt, sie wollten meine Mützen haben.

Ich bin schnell zurück nach Hause gefahren, habe Baumwolle gekauft und hundert Mützen nähen lassen. Und dann habe ich mir gesagt, ich brauche ein junges Mädchen, das die Vermarktung macht. Ich hatte ziemlich hohe Anforderungen: Sie sollte intelligent, zuverlässig und hübsch sein. Ich bin immer ein bißchen mißtrauisch, weil ich Angst habe, daß ich betrogen werden könnte. Daraufhin hat man mir eine junge Frau empfohlen. Leider war sie überhaupt nicht hübsch. Aber sie war sehr ehrlich und hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Sie kam aus einem kleinen Ort auf dem Lande und hatte an der Uni Mathematik studiert. Sie hat vier Monate für mich gearbeitet, aber dann kam ihr Verlobter und sagte ihr, sie solle nach Hause kommen.

Jetzt habe ich gehört, daß sie Funktionärin geworden ist. Sie ist zuständig für die Geburtenkontrolle in ihrem Ort. Und sie verdient kaum etwas. Aber sie hatte wohl Angst, ihren Verlobten zu verlieren. Es gibt so wenig Männer mit Bildung auf dem Land.

Als dann die Mützen fertig waren, bin ich wieder nach Peking gefahren. Zufällig habe ich im Zug einen privaten Händler kennengelernt, der war interessiert an meinen Mützen. Und ich Trottel habe gedacht: Gemacht! Lieber an einen Privatmann verkaufen als an ein staatliches Warenhaus. Er wollte mir tausend Yuan [200 Mark] zahlen. Also habe ich ihm die hundert Mützen sofort übergeben und bin zurückgefahren, um noch mehr nähen zu lassen. Als ich dann ein paar Wochen später nach Peking ins Wangfujin-Warenhaus gekommen bin, haben die gesagt, sie wollen meine Mützen nicht mehr, der Winter ist vorbei, jetzt kauft sie niemand mehr.

Mein Bruder hat heftig mit mir geschimpft. Mit einem großen staatlichen Geschäft zusammenzuarbeiten habe mehr Perspektive, meinte er. Die hauen einen nicht so übers Ohr. Daran verdienen die ja nichts. Und ich hatte Schwierigkeiten, die tausend Yuan einzutreiben. Ich bin manchmal zu impulsiv. Mein Bruder war es auch, der mich ermuntert hat, Geschäfte zu machen. Er selbst war Regierungsfunktionär und macht jetzt Geschäfte im Elektronik-Handel. Aber Geld hat er mir nie gegeben. Auch mein Mann nicht. Wenn ich etwas in den Sand setze, ist das ganz allein mein Problem. Ganz unabgesichert bin ich natürlich nicht. Ich habe ja noch meinen Grundlohn und die billige Institutswohnung.

Meine Tochter ist auch nicht glücklich über meine Aktivitäten, aber sie unterstützt mich trotzdem. Sie wohnt in Peking, ich kann bei ihr übernachten. Die Zugkarten bekomme ich auch ganz billig, ich habe da Beziehungen. Sonst könnte ich mir das viele Hin- und Herfahren gar nicht leisten.

Ich werde demnächst nach Hangzhou fahren und Seide kaufen. In Peking habe ich eine Ausländerin gesehen, die eine Seidenkappe trug, sehr schick, meinen Modellen sehr ähnlich. Die hat in der Schweiz 260 Franken [270 Mark] gekostet, sagte sie. Ich kann solche Mützen für 60 Yuan [12 Mark] verkaufen! Im Sommer gibt es eine Kunstmesse in Lanzhou. Da werde ich einen Stand haben, mit Parfums und Seidenmützen.

Und dann will ich meine Produktpalette erweitern. Ich glaube, ich schaffe es. Bevor ich 55 bin, will ich nicht aufhören, das sind noch fünf Jahre. Sehen Sie, Sie haben ja gesagt, Sie interessieren sich für die chinesische Wirtschaft. Da habe ich alter Bücherwurm Ihnen nun etwas über die Wirtschaft erzählt.

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