Herzklappern in der Ärzteschaft

■ Vorermittlungen im Herzklappen-Skandal / Niedersachsen bestätigt überteuerte Abrechnungen

Berlin (dpa/AFP) – Die Ärzteschaft hat nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden der Krankenhausgesellschaft Sachsen, Dieter Blaßkiewitz, „ein anatomisch hochentwickeltes Organ: die Brieftasche“.

Das Organ wird wohl Schaden nehmen, sollten sich die am Wochenende von den Krankenkassen erhobenen Vorwürfe gegen die bundesdeutsche Herzmedizin bewahrheiten. Denn dieweil sich Kassen- und Standesvertreter noch um die Richtigkeit dieser Diagnose streiten, wird bereits von Amts wegen ermittelt. Gestern nahm die Hamburger Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Unbekannt auf. Wie Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger erklärte, sei davon auszugehen, daß aufgrund der Berichte über Bestechungszahlungen an Ärzte für den Kauf von Herzklappen auch andere Staatsanwaltschaften von Amts wegen Vorermittlungen aufnehmen werden. Da Universitätsärzte im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, drohen ihnen gegebenenfalls Anklagen wegen Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit. Der Strafrahmen beträgt bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug und gilt auch für denjenigen, von dem die Bestechung ausging. Die Herzchirurgen an Privatkliniken haben hingegen allenfalls mit einem Ansehensverlust zu rechnen.

Die Ärzte und die Vertreiberfirmen von Herzklappen sollen, so der Vorwurf, auf Basis unmittelbarer Preisabsprachen und direkter Rabattgewährungen deutlich überhöhte Preise in Rechnung gestellt haben. Eine Herzklappe sei mit 6.300 Mark abgerechnet worden, ohne Nebengeschäft ließe sich der Preis um 3.000 Mark reduzieren. Bei rund 15.000 Herzklappen, die pro Jahr in der Bundesrepublik eingesetzt werden, ein Geschäft in Höhe von 45 Millionen Mark.

Als erstes Bundesland bestätigte gestern Niedersachsen die Vorwürfe. Alle sechs niedersächsischen Herzzentren haben Herzklappen-Operationen vermutlich überteuert bei Krankenkassen abgerechnet. Die Kliniken haben die Herzklappen nach Erkenntnissen des Sozialministeriums in Hannover mit jeweils 6.000 bis 7.000 Mark berechnet. Der Sprecher des Ministeriums, Thomas Steg, sagte gestern, dies hätten die Leitungen der vier öffentlichen Kliniken in Hannover, Göttingen, Braunschweig und Oldenburg sowie der beiden privaten Krankenhäuser in Bad Bevensen und Bad Rotenfelde auf Anfrage bestätigt. Aktiv werden müßten nun zunächst die Krankenhausträger als Kontrollinstanzen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zeigte sich gestern jedoch von den Vorwürfen „völlig überrascht“. Sie hege den „Verdacht“, daß mit der Veröffentlichung der Vorwürfe die Kassen Einfluß auf die am 10. Juni stattfindende Beratung des Bundesrates über die Bundespflegesatzverordnung nehmen will. Worum es den Kassen dabei gehe, habe ihre gestrige Erklärung gezeigt, in der sie eine Senkung der vorgesehenen Preise für operative Fallpauschalen um generell mindestens 10 Prozent fordert. Tagesthema Seite 3