: Weniger Heimplätze
■ Jugendhilfe wird privatisiert / Heimkinder sollen verstärkt in Wohngemeinschaften leben / Kosten fallen um ein Zehntel
Auch wenn die Verwaltungsreform im großen noch bevorsteht, im kleinen kommt sie voran. Der Senat hat gestern beschlossen, die Jugendhilfe zu privatisieren. Ab Januar kommenden Jahres sollen nicht mehr die Bezirke für Berlins 55 öffentliche Heime, sondern das Jugendaufbauwerk (JAW) zuständig sein. Die Landesgesellschaft soll die Kinder- und Jugendheime betriebswirtschaftlich und fachlich-pädagogisch führen. Zur Zeit, so berichtete gestern Jugendsenator Thomas Krüger (SPD), sei in öffentlichen Heimen jeder fünfte Platz, in Einrichtungen freier Träger dagegen nur jeder zwanzigste Platz nicht belegt.
Das Jugendaufbauwerk soll rund drei Viertel der 2.220 Heimplätze umwandeln. 1.000 Plätze sollen in Wohngemeinschaften freier Träger und anderer betreuter Wohnformen, 750 Plätze bei der Familienpflege geschaffen werden. Den freien Trägern werden dafür Heimeinrichtungen übergeben. Die pädagogische Betreuung werde dadurch verbessert, meinte Krüger, und die Angebote in der Jugendhilfe würden differenziert.
Der Senat beschloß seine „Leitsätze zur Neustrukturierung der Hilfen zur Erziehung“ aber auch auf Grund der „dramatischen“ Haushaltssituation. Die 55 Heime mit ihren 1.753 Mitarbeitern werden jährlich mit 130 Millionen Mark aus dem Etat der Bezirke finanziert. Für den geplanten Doppelhaushalt 1995 und 1996 erwartete Krüger Einsparungen von 29 Millionen Mark.
1.750 Heimplätze sollen umgewandelt werden
Insgesamt leben 7.000 Kinder und Jugendliche in Heimen oder Einrichtungen freier Träger. Davon sind fast 2.000 auf Grund fehlender Plätze außerhalb Berlins untergebracht. Experten raten, diesen Anteil von 28 Prozent auf fünf Prozent zu reduzieren. Krüger kritisierte die jetzige Praxis, daß Kinder der Innenstadtbezirke in den Außenbezirken untergebracht würden und die Außenbezirke wiederum ihre Kinder zum Teil in andere Bundesländer schickten. Reinickendorf soll mit 44 Prozent fast jedes zweite Kind außerhalb Berlins betreuen lassen.
Bei den Bezirken stoßen die Pläne des Senats nicht nur auf Zustimmung. Die Jugendstadträte aus Kreuzberg, Pankow, Zehlendorf und Reinickendorf hatten in diesem Monat ein Gegenkonzept vorgestellt. Dieter Dick, Leiter der Abteilung Jugend, Familie und Sport in Kreuzberg, warnte vor einer Zentralisierung der Heimerziehung. Ambulante Hilfen könnten die Bezirke vor Ort besser organisieren: „In Kreuzberg gibt es eine Vielzahl von Trägern, denen wir Aufgaben übertragen haben.“ Bestehende maßgeschneiderte Angebote würden die Zentralisierung möglicherweise nicht überstehen. Dirk Wildt
Siehe Kommentar auf Seite 17
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen