Die Entscheidung fällt im Morgengrauen

■ Bundeskabinett beschließt heute Umzugs-Vorlage / Neubau für Außenminister? / Feilschen um Standorte

Die Verwirrung war komplett. Noch am Montag hatte Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) betont, man sei sich mit CDU/CSU über den Neubau des Auswärtigen Amtes auf der Spreeinsel einig. Doch bis gestern wurde in Bonn an der Vorlage für das Nutzungskonzept der Ministerien in Berlin gefeilt. Knackpunkt des Papiers, das heute im Bundeskabinett beschlossen werden soll, ist die Maßgabe des Haushaltsausschusses des Bundestages, lediglich dem Bundeskanzler einen Neubau zuzugestehen.

Die Sprecherin des Bundesbauministeriums, Birgit Kusch, erklärte gestern gegenüber der taz: „Es wird sehr wahrscheinlich eine Aufteilung des Auswärtigen Amtes geben.“ Ein Teil der Beschäftigten soll in einen Neubau, dem das Staatsratsgebäude weichen muß. Das verbleibende Personal könne in einen bereits bestehenden Komplex unterhalb der Neumannsgasse ziehen.

In den vergangenen Wochen hatte das Bundeskabinett Spekulationen über eine Verzögerung des Umzugs genährt, als es die für den 25. Mai vorgesehene Vorlage von der Tagesordnung nahm. Von der Verabschiedung der Vorlage hängt die Entsperrung von fünf Millionen Mark durch den Haushaltsausschuß ab, mit dem noch in diesem Jahr das Bundesbauministerium erste Planungsaufträge öffentlich ausschreiben könnte.

Nach Informationen der taz wurde gestern darum gefeilscht, ob das Wort „Neubau“ für das Auswärtige Amt in der Vorlage umgangen werden kann. Dem Haushaltsausschuß soll kein Argument für eine Blockade gegeben werden. Die heutige Verabschiedung ist zudem aus zeitlichen Gründen unabdingbar, da der Haushaltsausschuß vor der Sommerpause nur noch dreimal zusammenkommt. Dessen Vorsitzender Rudi Walther (SPD) erklärte gestern gegenüber der taz, er messe die Vorlage der Regierung an der grundsätzlichen Entscheidung des Bundestages, „tunlichst Neubauten“ zu vermeiden. Er warnte die Bundesregierung vor „Tricksereien“.

Schlingerkurs

Das Gezerre um Standorte widerspiegelt den Schlingerkurs aus Vorlagen, Umzugsvarianten, Scheindebatten, Kassenstürzen. So wollten noch 1993 alle zehn vom Rhein an die Spree übersiedelnden Ministerien in Neubauten oder Ergänzungsgebäuden untergebracht werden. Das Bundesamt für Verkehr sowie das Bundesbauministerium, die das ehemalige Regierungskrankenhaus und das Institut für Geologie an der Invalidenstraße besetzten, sicherten sich beispielsweise Standorte, die nicht nur doppelt so groß sind wie der Raumbedarf der Ämter. Zugleich sollten auf angrenzenden Flächenreserven Neubauten die Hauptnutzflächen ergänzen. Ebenso großzügig planten die Wirtschafts-, Justiz- und Finanzminister für ihre Nobelherbergen in Berlin.

Die „Horrorzahlen“ für die unmäßigen Umzugs- und Baukosten zwischen zehn und vierzig Milliarden Mark veranlaßten im Februar 1994 den Haushaltsausschuß zur Forderung, die Bundesregierung solle in Berlin mit Ausnahme des Bundeskanzleramtes auf Neubauten verzichten und die vorhandenen Altbauten nutzen. Die Standortrangeleien – und die Debatte über Neuplanungen – sind damit nicht zu Ende. Zwar gilt als sicher, daß das Bundesbauministerium mit 14.000 Quadratmeter Hauptnutzfläche (HNF) in das bestehende Geo-Institut zieht und das Verkehrsministerium auf 17.000 Quadratmeter HNF die Räume des Regierungskrankenhauses nutzt.

Bis heute allerdings bleiben die Standorte für das Innenministerium (43.000 Quadratmeter HNF), das Außenamt (72.000 Quadratmeter HNF), das Wirtschaftsministerium (65.000 Quadratmeter HNF) und das Finanzministerium (46.000 Quadratmeter HNF) unklar. So wird die Kabinettsrunde zu klären haben, ob das Innenministerium mit 43.000 Quadratmeter HNF in die frühere Reichsbank einzieht oder mit seinen Beamten in die Gebäude des einstigen DDR-Innenministeriums an der Behrenstraße geht. Die Unklarheit über den Neubau des Außenamtes tangiert die Umzugspläne anderer Ministerien. Wenn das Innenamt in die DDR-Bauten geht, stünde Norbert Blüm mit seinen Beamten auf der Straße. Außerdem wäre fraglich, wie die Reichsbank, mit rund 45.000 Quadratmeter HNF der größte Büroaltbau auf der Spreeinsel, genutzt werden sollte. Entschlössen sich das Innenministerium oder das Außenamt, dort zu residieren, würde es wieder für das Wirtschaftsamt eng. Dieses streitet mit dem Finanzministerium um das Treuhandgebäude und mit dem Verkehrsministerium um das frühere Regierungskrankenhaus. Severin Weiland

Rolf Lautenschläger