: Schwammiges gegen schwammige Hirne
EU-Vorschläge gegen Rinderwahnsinn ■ Aus Brüssel Alois Berger
Bundeslandwirtschaftsminister Borchert war begeistert. Die Europäische Kommission in Brüssel machte gestern zwei Vorschläge und drei Anregungen, wie der Rinderwahnsinn in Großbritannien und die Gesundheitsrisiken für den Menschen in den Griff zu bekommen seien. Nichts aufregend Neues, aber für den Landwirtschaftsminister Anlaß genug, die von Gesundheitsminister Seehofer aufgestellte Drohung, die Bundesregierung werde den Import von britischem Rindfleisch notfalls im Alleingang verhindern, vorerst zurückzunehmen: „Wir werden erst den Erfolg der Maßnahmen abwarten.“ Was der für Landwirtschaft zuständige EU-Kommissar René Steichen den Agrarministern der 12 Mitgliedsländer als Antwort auf die anhaltende Verbreitung des Rinderwahnsinns (BSE) ankündigte, wirft ein trauriges Licht auf die bisherige Praxis. Obwohl in Großbritannien seit 1986 weit über 100.000 Rinder an BSE zugrunde gegangen sind und jede Woche 650 dazukommen, will die Kommission erst jetzt anfangen zu prüfen, ob sie EU-weit verfügen soll, daß Tiermehl nicht mehr an Wiederkäuer verfüttert werden darf. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gilt Tiermehl aus den Kadavern von kranken Schafen als Auslöser des Rinderwahnsinns. In Großbritannien gibt es das Verfütterungsverbot deshalb seit 1988, seit 1990 wird es immerhin auch eingehalten. In Deutschland ist Tiermehl im Rinderfutter seit 1990 verboten. Um die ökonomischen Auswirkungen klein zu halten, soll das EU-Verbot nur für Wiederkäuer gelten, Schweine und Geflügel sollen weiterhin mit BSE-Mehl gemästet werden dürfen, weil die nach Ansicht der Wissenschaft gegen solche Krankheiten immun sind. Deshalb will die EU-Kommission die strengen deutschen Tiermehlvorschriften auch für die anderen Länder verbindlich vorschreiben. Das heißt, daß die pulverisierten Tiere unter Druck und großer Hitze keimfrei gemacht werden müssen. Alle weiteren Vorschläge Steichens zielen auf bessere Kontrolle und Überwachung beim Umgang mit Fleisch und Lebendtieren, was demnach bisher offensichtlich immer noch nicht so richtig ernst genommen wird. Vor allem konzentrieren sich die Maßnahmen darauf, die Risiken bei der Verfütterung von Tiermehl einzudämmen. Dabei gibt es längst Zweifel, ob die Krankheit nicht doch durch andere Faktoren ausgelöst wird, wie etwa die in Großbritannien exzessive Anwendung bestimmter Insektengifte. Wenn sich ein solcher Verdacht erhärtet, wird die EU mit dem Prüfen von vorne anfangen müssen.
Während die EU-Landwirtschaftsminister bei der vergleichsweise harmlosen Schweinepest Sperrkreise ziehen und Hunderttausende von krankheitsverdächtigen Tieren töten lassen, werden beim Rinderwahnsinn solche Radikalkuren nicht angedacht. „Wir stellen da keinen Zusammenhang her“, meinte ein Beamter aus dem deutschen Gesundheitsministerium lapidar, und die Agrarexperten verweisen darauf, daß die Schweinepest ansteckend sei, der Rinderwahnsinn aber nicht durch bloßes Zusammenstehen übertragen werde. Minister Borchert erinnerte gestern daran, daß die Schweinepest nicht die menschliche Gesundheit, sondern den Markt gefährde, während es bei Maßnahmen gegen Rinderwahnsinn um den Schutz der Verbraucher ginge: Das könne man nicht vergleichen.
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