: Ein Schalck, wer Böses dabei denkt
■ Bonn wußte alles um Schalcks DDR-Geschäfte
Berlin (taz) – Die Bonner Regierungen besaßen bereits seit Mitte der siebziger Jahre detaillierte Kenntnisse über die Geschäfte des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski und dessen Außenhandelsbereich „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo). Das geht aus dem Minderheitenvotum der Bundestagsgruppe Bündnis 90/ Die Grünen hervor, das am Freitag in der letzten Sitzung des Schalck-Ausschusses zur Verschlußsache gestempelt wurde. Die Ausschußmehrheit hatte beschlossen, den Bericht im Panzerschrank verschwinden zu lassen, weil darin umfangreich geheime Akten zitiert werden. Der Bericht der Bündnis-Gruppe wurde vorgestern mehreren Zeitungen, darunter der taz, zugespielt.
Die Berichterstatterin der Bündnis- Gruppe, Ingrid Köppe, hält den Regierungen darin vor, trotz umfangreicher Berichte über den systematischen Bruch der früheren Embargobestimmungen und die personelle Verflechtung der KoKo-Firmen mit dem Staatssicherheitsdienst untätig geblieben zu sein. Sie seien damit „heimliche Mitwisser“ der Machenschaften Schalcks geworden. Spätestens Anfang der achtziger Jahre sei den Bonner Regierungsstellen die Rolle Schalcks bekannt gewesen, etwa die Tatsache, daß Schalck Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes war. Überläufer hätten über erpresserische Geschäfte der KoKo-Firma „Kunst und Antiquitäten“ in der DDR ebenso berichtet wie über weitere KoKo- Firmen in der Bundesrepublik und deren Beschaffungsaktionen für die Stasi.
Die im Stasi-Nachlaß sichergestellten Gesprächsprotokolle Schalcks, etwa mit Schäuble oder Strauß, seien „ein beeindruckendes Beispiel für Kooperationsbereitschaft und Mitteilungsbedürfnis westdeutscher Politiker“.
Der BND hat dem Bericht zufolge sogar Firmen vor einer möglichen Strafverfolgung geschützt, die gegen das Handelsembargo verstoßen hatten. Der Geheimdienst habe Anfang 1990 sowohl von Schalck als auch von einem hohen Stasi- Mitarbeiter erfahren, daß westdeutsche Unternehmen die Handelsbeschränkungen in großem Stil durchbrochen hätten. Statt die Strafverfolger einzuschalten, habe der Dienst die Firmen gewarnt.
Dem Bericht zufolge stellte sich mit Willy Koch auch der frühere Vizechef der Stasi-Hauptabteilung XVIII/8, die für die Sicherung der Volkswirtschaft der DDR zuständig war, unmittelbar nach der Wende dem BND. Als Mitbringsel übergab er 40 Computer-Disketten, die das „gesamte operative Wissen“ seiner Abteilung beinhalten sollen. Schalck-Golodkowski, so scheint es, steht seit langem unter dem Schutz eines ganz besonderen Engels. Zwar muß er in den nächsten Monaten mit der Eröffnung mehrerer Gerichtsverfahren rechnen. Nach seiner Flucht aus der DDR zu Wendezeiten und dem anschließenden Besuch bei den Pullacher Geheimdienstlern durfte er sich aber ungeniert am Ufer des Tegernsees in einer Villa niederlassen. wg Tagesthema Seite 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen