■ Filmstarts à la carte: Bolschewistische Traditionen
Waren die Schlagzeilen diese Woche nicht wieder besonders köstlich? „Margot läßt H. verbrennen“, wußte die BZ am Montag, und tags darauf titelte Bild: „Der tote Honecker – in 9 Minuten alles Asche“.
Der Reporter war live dabei: „800 Grad heiße Flammen zischen! Die höllische Hitze frißt seinen ausgemergelten, auf 40 Kilo abgemagerten Körper auf. In der Friedhofs-Kirche tuschelten die Menschen: ,Warum ist ein Kreuz auf seinem Sarg?‘ Hat der Gottlose am Ende zu Gott gefunden? Wurde der Kommunist vor seinem Tode Christ? Nein! Das Sarg-Kreuz ist chilenische Tradition.“
Alles, was recht ist, aber in puncto Boulevardpresse machen uns höchstens die Engländer noch was vor. In Amerika ist dagegen alles ganz anders. Der Reporter hätte sich vehement gegen die irreführende Schlagzeile gewehrt: „Es waren nicht neun, sondern neun bis zehn Minuten. Wir haben noch nie wissentlich eine falsche Meldung gebracht.“ Dann wäre der Reporter nach Hause gedackelt, hätte seiner Freundin beim Kinderkriegen zugesehen und nebenbei noch blitzschnell den endgültig wahren Sachverhalt ermittelt. So will es uns Ron Howard mit seinem neuen Film Schlagzeilen weismachen. Da konnten auch Michael „Batman“ Keaton als braver Reporter Henry und Glenn Close als Fußtritte verteilende Chefredakteurin nichts mehr retten. Die amerikanische Presse strafte diese Verunglimpfung ihres liebevoll gepflegten „Mit-dem-Teufel-auf- du-und-du-Images“ mit Verachtung.
Am Vorabend der Kreuzzüge, gerade als jeder Ritter, der etwas auf sich hält, die Rüstung für den Marsch auf Jerusalem anlegt, landet ein Raumschiff in England und spuckt eine Handvoll intelligenter, fortschrittlicher und außerordentlich gebildeter Außerirdischer aus. Die Briten, gar nicht faul, vermöbeln die Eindringlinge, und hast du nicht gesehen, sssst, sind sie ihrerseits auf dem fremden Planeten gelandet. Besonders beliebte englische Freizeitbeschäftigungen wie Sex, Alkohol und Schlägereien bringen die Einheimischen glatt aus der Fassung und ihren Planeten zur Explosion.
Das Weltraumspektakel von Holger Neuhäuser und Klaus Knoesel wartet mit einer hochkarätigen Besetzung wie John Rhys- Davies (bekannt aus diversen Indiana-Jones- und James-Bond- Filmen) und Ray Cokes, dem beliebten MTV-Moderator, auf. Kommt heute unter dem Titel High Crusade – Frikassee im Weltraum auch in Ihr Kino.
Im Eiszeit läuft diese Woche eine Reihe mit Dokumentarfilmen: Michel Foucault in Berlin, das spricht für sich. In Daß wir niemals dagewesen sein werden, Günther Anders – Ein Fragment interviewt Roswitha Ziegler den österreichischen Philosophen und Schriftsteller über Atomkraft, Gewalt und Widerstand. Und schließlich sei noch Chris Markers The last Bolshevik genannt, der auf der Berlinale unter dem Titel „Le tombeau d'Alexandre“ lief, eine höchst persönliche Reflexion über Kunst und Macht. Marker porträtiert den russischen Filmregisseur Alexander Medwedkin (1900–1989), der nie vom Bolschewismus abrückte. In seinen schlimmsten Zeiten drehte Medwedkin für Stalin einen Propagandafilm nach dem anderen: so etwa Maiparaden, in denen rotbäckige Bauersfrauen und Männer mit Schnurrbärten mit Inbrunst singen und tanzen. In seinen besseren Zeiten drehte er Filme wie Stschastje (Das Glück). Der Film entstand im Jahre 1934, als der russische Stummfilm in seinen letzten Zügen lag, und zeigt, so Sergej Eisenstein, „wie ein Bolschewik lacht“.
Anja Seeliger
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