: Nur Hohn im Spot
■ Wie die Parteien zur Europawahl auf televisionären Stimmenfang gehen
Das ist die Geschichte von Wolfgang und Inge. „Damals auf Fronturlaub“ lernten sie sich kennen. Sie war seine „Traumfrau“. Doch das frisch verliebte Paar wurde schon bald durch die Härten der deutschen Teilung voneinander getrennt. Und während sie in Schwerin im volkseigenen Betrieb den Planrückstand aufzuarbeiten sich mühte, schrieb er ihr aus seiner wirtschaftswunderlich geschmückten Wohnstube in Bielefeld schmachtende, aber unzustellbare Briefe. Ansonsten lag Deutschland gerade in Trümmern, was jedoch vorüberging, denn „alle packten mit an“. Und dann kam Adenauer, und wenig später schon „brachte Kanzler Kohl die Einheit“. Wolfgang und Inge können nun endlich doch noch zusammenkommen. Alt, aber glücklich wandeln sie Hand in Hand durch die schönen deutschen Auen – gedankt sei's der CDU.
Das behauptet jedenfalls das kleine christdemokratische Lichtspiel, mit dem die PR-Strategen seit Beginn des Europawahlkampfes in den öffentlich-rechtlichen Programmen auf Stimmenfang gehen. In patinösem Schwarzseiß erstrahlt da das Schicksal einer Nation als deutsch-deutscher Lore- Roman. Die häßliche Nazizeit und der unerfreuliche Krieg bleiben dezent ausgespart. Auch die Komplikationen der deutschen Reunifikation werden gnädig überzuckert. Angesichts der tatsächlichen Malaise bekommt die fein gesponnene Miniatur so den Rang eines Durchhaltefilms. Daß man dabei auch ästhetisch an alte Ufa-Produktionen anknüpft, ist kein Zufall. Hier wie anderswo arbeitet die CDU an der „Normalisierung“ der deutschen Geschichte.
Im Vorfeld des sogenannten Superwahljahres hatten verschiedene Stimmen immer wieder die Abschaffung der Parteienwerbung im Fernsehen gefordert. Nicht weil sie die schamlose Geschichtsklitterung der CDU-Propagandisten vorausgeahnt hätten, sondern weil sie die infame Hetze der extremen Rechten im breitenwirksamen Medium Fernsehen fürchteten. 1990 hatten die „Republikaner“ mit ihren rassistischen Spots für Aufruhr gesorgt. Die Reps hatten Bilder von Ausländern mit der Musik von „Spiel mir das Lied vom Tod“ unterlegt. Allein, die Empörung war vergebens, und nun laufen sie wieder, die kurzen Werbefilmchen der großen und kleinen Parteien. Und siehe da, man hat sich Mühe gegeben. Offenbar war das angedrohte Verbot Ansporn genug, um zumindest in puncto Oberflächenpolitur nachzulegen. Was zählt, ist das „Finish“ eines Spots, Argumente sind ein Anachronismus.
Das mag sich auch die SPD gedacht haben. Gemessen an dem historischen Pathos des CDU- Werks, bleibt deren Beitrag jedoch einigermaßen kläglich im Hier und Jetzt stecken. Schamlos machen die sozialdemokratischen Wahlkämpfer einen auf „Infotainment“ und maskieren ihren Spot plump als News-Show. Im „Magazin der SPD“ begrüßt eine Sabine-Christiansen-Doublette den hinter einem Stehpult hoch über ihr aufgeständerten Oskar Lafontaine zum Studiogespräch. Formatfüllend betet der brav das handelsübliche Polit- Bla-Bla herunter. Wobei er allein in seinem Mißmut wirklich überzeugt. Unter unablässigem Kopfwackeln murmelt er etwas von einem „Beschäftigungspakt“, mit dem sich „Kohls riesiger Schuldenberg“ abtragen lasse. Dazu gibt es zusammengeschüttelte Straßeninterviews und eine Einspielmaz, aus der uns die pure Prosperität entgegenlacht. Am Beispiel eines „Technologieparks“ zeigen die SPDler, wie sich moderne Video- Schnittechnik und sozialdemokratische Wirtschaftspolitik im Augenschein aufs wunderbarste verbinden lassen. So rasant und poppig ist das gemacht, als sei's von C & A. Die krönende Klimax aber ist „ein Kommentar, gesprochen von Heidemarie Wieczorek- Zeul“. Kurz und knapp: „Die Regierung Kohl hat versagt.“ Die SPD auf der Höhe der Zeit: Opposition pur.
Neben den sichtbar gut budgetierten Spots der Altparteien erscheinen die Filme der kleinen Splittergruppen wie Exotica. Mit zittriger VHS-Kamera und handgemaltem Löwenwappen ficht die Bayernpartei für den Freistaat. Trude Unruh gibt die fidele Alte und erklärt sich und die Grauen Panther als „sozial ehrlich und anständig“. Für die „Republikaner“ lamentiert Schönhuber über die Verleumdungskampagnen gegen seine Partei, um sich dann durch sein „Überfremdungs“-Geschwätz einmal mehr als großer Verleumder zu erweisen. Die Unregierbaren zeigen deutsche Evergreens: die Räumung der Mainzer Straße und Kohl im Hallenser Eierhagel, dazu erklingen gesungene Agitationstexte. Allein die Grünen wollen das Spiel nicht mitmachen und stellen ihre Sendezeit engagierten Gruppen zur Verfügung. Das Motto: „Denkanstäße statt Parteiparolen“. Die Verweigerung endet in der Quadratur des Kreises, denn die intendierten Denkanstöße unterscheiden sich formal wie inhaltlich kaum von den hohlen Parteiparolen der anderen.
Was also bleibt? Nach Sichtung der Beiträge wäre es nachgerade bedauerlich gewesen, wenn sich die Verfechter eines Wahlwerbungsverbots hätten durchsetzen können. Sie hätten uns um ein wesentliches diagnostisches Mittel gebracht. Denn in der multimedialen Selbstdarstellung leistet die deutsche Parteienlandschaft ihren Offenbarungseid. Die Spots fügen sich aufs sinnfälligste zu einem kleinen, schmutzigen B-Movie-Festival zusammen: die besten Lügen, die platteste Agitation, das abgefeimteste Politspektakel. Das einzige, was bei dem televisionären Politfestival noch fehlt, ist eine ordentliche Preisverleihung. Die goldene Wahlurne für den schönsten Beitrag zur Europawahl ginge dieses Jahr zweifellos an die CDU. Martin Muser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen