: Das Trüffelschwein der Volksseele
Sex am Arbeitsplatz – aber anders, als ihr denkt! „Enthüllung“ – Michael Crichtons neueste Provokation ■ Von Karl Wegmann
Es geht um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Nur wird diesmal ein Mann von seiner Vorgesetzten über verbale Anmache, erzwungene Küsse und heavy Petting zum Beischlaf gedrängt. Kurz bevor der Akt vollzogen werden kann und soll, sagt der Mann „nein“. Und wenn Männer nein sagen, meinen sie auch nein! Die lüsterne Chefin kapiert das nicht, es folgt körperliche Gewalt. Der Mann kann schließlich, völlig derangiert und geschockt, fliehen.
So ein Szenario ist unrealistischer Blödsinn, allenfalls ein schlechter Scherz, meinen Sie? Stimmt nicht, es ist der neue Bestseller von Michael Crichton. Und der hatte den Skandal, den er in den USA mit dem Roman „Enthüllung“ (Disclosure) auslöste, durchaus gewollt. Wie die Pawlowschen Hunde stiegen dann auch die Feministinnen zielsicher auf die von Crichton gezeigten Barrikaden und sahen die Falle nicht. Sie warfen dem Autor Chauvinismus und eine Verfälschung der Wirklichkeit vor, denn es seien schließlich die Frauen, die unter der Geilheit der Männer litten und nicht umgekehrt. Die Medien stießen prompt ins gleiche Horn; furchtlose Kritiker erkannten, daß Crichton die eminent wichtige Debatte über „sexuelle Korrektheit“ hemmungslos ausbeuten würde, außerdem sei die Prosa seiner Kolportage flach und sein Personal sehr oberflächlich beschrieben. Michael Crichton lachte sich einen Ast, wehrte sich hier und da ein bißchen und fühlte sich ansonsten wie die berühmte Eiche, an der sich eine Sau kratzt. Gelassen beobachtete er, wie sein Buch mit Hilfe der hysterischen Publicity in den Bestsellerlisten immer höher stieg. Nachdem es vier Wochen auf Platz eins stand, war Hollywood gar. Der clevere Unterhaltungsschreiber verkaufte die Filmrechte für 3,5 Millionen Dollar an Warner Brothers. Barry Levinson dreht schon, mit Michael Douglas und Demi Moore in den Hauptrollen.
In Sachen Provokation hat es Michael Crichton (51), Harvard- Absolvent, gelernter Arzt, Filmregisseur und Autor von Sachbüchern und Romanen verschiedenster Genres, inzwischen zur Perfektion gebracht. Wie ein Trüffelschwein durchwühlt er die amerikanische Volksseele, findet zielsicher einen neuralgischen Punkt und stößt eine glühende Nadel hinein. Sein vorletztes Buch, „Nippon Connection“ (verfilmt als „Die Wiege der Sonne“), wurde in den USA zur Bibel der Japan-Basher. Nur: So platt ist Crichton gar nicht. Meist sind es die Leser, die seine Geschichten nur oberflächlich duchschmökern. „Nippon Connection“ zum Beispiel entpuppt sich bei klarer Sicht als eine „fast pennälerhafte Liebeserklärung an ein Land, in dem alles klappt“ (Spiegel). Amerika dagegen beschreibt der Autor als einen düsteren Ort mit kaputten Straßen und Schulen, korrupten Politikern und naiven Menschen. In seinem größten Erfolg, „Jurassic Park“, übte Crichton herbe Hightech-Wirtschaftskritik, indem er in einem fünfseitigen Vorwort gegen die „unbesonnene und überhastete Kommerzialisierung der Gentechnologie“ wetterte. Danach treibt er die Nörgelei dann ins Extrem und in die Fiktion, indem er die inzwischen weltbekannte Geschichte erzählt. Der Ausgang ist tragisch. Fazit: Wer glaubt, die Gentechnologie unter Kontrolle halten zu können, ist ein kompletter Idiot.
In „Enthüllung“ gibt Crichton seine Erklärung erst im Nachwort ab: „Die hier erzählte Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Durch ihre Veröffentlichung in Form eines Romans soll aber die Tatsache nicht geleugnet werden, daß die große Mehrheit von Anzeigen wegen sexueller Belästigung durch Frauen erfolgt und gegen Männer gerichtet ist. Ebensowenig liegt es in meiner Absicht zu bestreiten, daß sexuelle Belästigung einen nicht zu rechtfertigenden Machtmißbrauch darstellt. Ganz im Gegenteil: Der Vorteil einer Geschichte mit umgekehrten Rollen besteht darin, daß eine solche Geschichte es uns ermöglichen kann, Aspekte wahrzunehmen, die bisher durch althergebrachte Reaktionen und konventionelle Rhetorik verhüllt waren.“ Kann man akzeptieren, muß frau aber nicht. In der Geschichte selbst argumentiert Chrichton durch seine Protagonistin Louise Fernandez. Sie ist die Anwältin des fast geschändeten Lohnabhängigen und spezialisiert auf Fälle dieser Art. Die Studien über sexuelle Differenzen zwischen den Geschlechtern hält sie für sexistisch, genauso falsch wie die, in denen aufgezeigt wird, daß Frauen schlechte Geschäftsleute sind und nicht strategisch denken können. Für sie hat sexuelle Belästigung ausschließlich mit Macht zu tun. Sie weiß, daß Sex als Angebot, als Waffe und als Drohung eingesetzt werden kann, und zwar von Männern genauso wie von Frauen. „Ungefähr fünf Prozent der Klagen wegen sexueller Belästigung werden von Männern gegen Frauen vorgebracht“, sagt Fernandez, „das ist ein ziemlich niedriger Prozentsatz. Allerdings sind auch nur fünf Prozent der Vorgesetzten in Firmen weiblich.“
„Enthüllung“ ist flott geschriebene, packende Unterhaltung und eine exquisite Diskussionsgrundlage zum Thema. Ganz zum Schluß beweist Michael Crichton dann sogar sexuelle und politische Korrekheit. Die Anwältin sitzt mit dem Chef der beklagten Firma zusammen. Der jammert, daß in Amerika inzwischen ganze Betriebe darniederliegen, gelähmt durch massenhafte Klagen wegen sexueller Belästigung. „Wann wird das alles endlich aufhören?“ fragt er. „Wenn Frauen 50 Prozent der Arbeitsplätze innehaben“, antwortet sie. „Dann wird es aufhören.“
Michael Crichton: „Enthüllung“. Droemer Knaur, 528 S., 44 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen