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Die Angst vor dem „anatolischen Schutzmann“

Gute Gründe sprechen für ausländische Polizisten – doch nach langem Widerstand von Standesvertretern und Bürokraten kann man den Immigranten in Uniform mit der Lupe suchen / Sicherheit für oder vor Ausländer(n)?  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

„Wir wollen keine Fremdenlegion.“ Mit Schaum vor dem Mund stürzt sich der Vorsitzende der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP), Günter Brosius, in die Schlacht. Gefolgt von seinem Kollegen Egon Franke von der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (PDB), der klarstellt: „Türkischer Honig, mit dem die Berliner geleimt werden sollen.“ Im September 1979 löst Berlins sozialdemokratischer Innensenator Peter Ulrich mit seinem Vorschlag, „zwei, drei Türken auch ohne die deutsche Staatsbürgerschaft in den Polizeidienst aufzunehmen“, ein mittleres Erdbeben aus. „Auf keinen Fall darf von deutscher Seite hoheitliche Gewalt aus den Händen gegeben werden“, wettert Carl-Dietrich Spranger (CSU) in München. Und Der Spiegel warnt: „Könnte es nicht leicht böses Blut machen, wenn ein türkischer Beamter einem Berliner Bierfahrer den Führerschein abzunehmen versucht?“

Genau darum ging es Innensenator Peter Ulrich. Er wollte böses Blut verhindern und der drohenden Kriminalitätsentwicklung unter ausländischen Jugendlichen mit integrationspolitischen Weichenstellungen und nicht mit dem Knüppel und Ausweisungsverfügungen entgegentreten. Denn soviel konnten hellere Köpfe bereits damals voraussehen: „Wenn wir die jungen ausländischen Arbeitnehmer zwischen Baum und Borke hängenlassen, müssen sie doch geradezu den Konflikt stauen– bis dieser Stau ausbricht. Dann gibt es Gangs, Banden, dann gibt es Straßenschlachten, dann gibt es Verhältnisse, wie wir sie aus Amerika kennen.“ Ulrich sollte recht behalten. Tatsächlich förderte die Anti-Ausländerpolitik der letzten Jahre Desintegrationserscheinungen unter den Jugendlichen aus Einwandererfamilien mit dem Ergebnis, daß sie sich nun überproportional häufig in der Kriminalitätsstatistik wiederfinden.

Nachdem sich bei dem Vorsitzenden der Berliner GdP die erste Empörung gelegt hatte, versuchte er seine paranoiden Ängste vor „anatolischen Schutzmännern“ mit Hilfe des geltenden Beamtenrechts zu rationalisieren: „Nach diesem darf nur Beamter werden, der Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes ist.“ Das ist richtig, verschweigt aber, daß Ausnahmen möglich sind, „wenn für die Gewinnung des Beamten ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht“. Da der GdP schwante, daß angesichts von damals 200.000 EinwanderInnen in der Stadt dieses durchaus besteht, schob der Gewerkschaftsboß gleich nach: „Wir haben in jeder Direktion eine Arbeitsgruppe für Ausländerfragen, die sehr erfolgreich an der Lösung der polizeilichen Ausländerprobleme arbeitet.“

Ausländerfrage = Ausländerproblem

In der Tat nahmen in der Berliner Polizei diese Arbeitsgruppen, kurz AGA genannt, bereits in den frühen siebziger Jahren ihre Arbeit auf. Das Kürzel stand bezeichnenderweise zunächst für „Arbeitsgebiet gezielte Ausländerüberwachung“ und wurde erst in den achtziger Jahren in „Arbeitsgruppe Ausländer“ entschärft. Als vertrauensbildende Maßnahme zur Verbesserung des Verhältnisses Ausländer–Polizei war diese Einheit aufgrund ihrer Doppelfunktion wohl kaum geeignet. Denn zu ihrem Aufgabengebiet gehörte vor allem, „illegal in der Stadt aufhältige Personen zu ermitteln und die entsprechenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen einzuleiten“.

1979 war kein Argument dumm genug, um nicht anzuerkennen, daß die Arbeitsmigration inzwischen zu einem unumkehrbaren Prozeß geworden war. „Im Grunde geht es – das muß man nun auch mal ganz öffentlich benennen – um das Problem: Dürfen Schwarze Weiße verhaften“, faßte damals der Senator treffsicher die Diskussion zusammen.

Peter Ulrich machte einen groben „Fehler“, den bis heute kein politisch Verantwortlicher mehr beging. Er rückte die integrativen Intentionen seines Pilotprojektes in den Mittelpunkt und nicht, wie Bundesinnenminister Seiters vierzehn Jahre später, den Aspekt einer „Sondertruppe“, einer „Türkenpolizei“, zur Beaufsichtigung ihrer Landsleute. Ulrichs Vorstoß geriet schnell in Vergessenheit. Denn Anfang der achtziger Jahre hatten ganz andere ausländerpolitische Wunschvorstellungen Konjunktur. In einem letzten Kraftakt versuchten die Deutschen das Rad der Geschichte mit der „Ausländerrückführungspolitik“ à la Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann zurückzudrehen. Weshalb noch Einwanderer in den Polizeidienst aufnehmen, weshalb sich um eine Integrationspolitik bemühen, wenn es ohnehin bald erheblich weniger „Gäste“ geben sollte?

Nur Hamburg wagte Ende 1982 mit einer verstümmelten Version des Berliner Modells einen Verstoß gegen den herrschenden Zeitgeist. Zwei Türken wurden bei der Polizei angestellt. Ihre Aufgaben: „Erläuterung von polizeilichen Maßnahmen bei den Türken, Hilfestellung beim Umgang mit der deutschen Polizei, Kontaktgespräche mit der türkischen Bevölkerung, rechtliche Beratung und Belehrung von türkischen Mitbürgern, dolmetschen für deutsche Polizeidienststellen. Information der Polizeibeamten über türkische Gebräuche und Rechtsnormen.“ Erläuterung, Beratung, Belehrung, Hilfestellung – der Türke als Hilfskraft, ohne Uniform und Hoheitsrechte, die Hackordnung blieb bewahrt und die heile deutsche Welt in Ordnung. Geschickt hatte man den neuralgischen Punkt „Dürfen Schwarze Weiße verhaften?“ umschifft. Für soviel hanseatische Zurückhaltung wurde das Hamburger Modell in der Presse in den höchsten Tönen gelobt. Aber wie es nun mal so geht. Die Menschen wollten nicht, wie es die Technokraten in ihren Konzepten vorsahen. Die Türken blieben und damit das „Ausländerproblem“.

„Ausländer in die Polizei!“ 1988 hörte man ganz neue Stimmen im Land. Wieder einmal kamen sie aus Berlin. Diesmal aber von einem Christdemokraten, dem amtierenden Innensenator Kewenig. Der Ausbildungsleiter der Berliner Polizei läßt im Frühjahr 1990 allerdings keinen Zweifel daran, daß Berlin auch in Zukunft keinen multinationalen Polizeiapparat haben wird. „Nach wie vor dürfen in Berlin nur Deutsche den Polizeidienst ausüben.“ Neu am „Berliner Modell“ ist lediglich, daß mit ausländischen Jugendlichen auch dann ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen wird, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Sie müssen sich jedoch verpflichten, bis Ende der Ausbildung diesen Makel zu beheben.

Anders als bei seinem Vorgänger Ulrich stand für den Innensenator Kewenig 1988 nicht der integrative Aspekt im Vordergrund. Ihn plagten andere Sorgen. Die Berliner Polizei, die in den Jahren 1952 und 1953 die Bereitschaftspolizei der Stadt mit einer großen Zahl junger Beamter aufbaute, befand sich mitten in einer Pensionierungswelle. Bis zu siebenhundert freie Plätze mußten jährlich besetzt werden. Das klappte bis Ende der achtziger Jahre, indem man den Männerberuf „rechtzeitig“ für Frauen öffnete. 1993 beträgt der Anteil der Frauen an den PolizeimeisteranwärterInnen der Stadt bereits knapp fünfzig Prozent.

Dennoch finden sich 1988 nicht genügend geeignete BewerberInnen für den stressigen, schlecht bezahlten und unpopulären Beruf. 1988 waren zum Schuljahresende gerade 380 der 700 freien Plätze besetzt. In dieser „Notlage“ verloren die Einwände dagegen, es mal mit „Ausländern“ zu versuchen, von denen ohnehin die meisten in Deutschland geboren wurden, an Kraft.

Heute, nach dem ersten Probelauf, ist in Berlin Ernüchterung eingekehrt. Obwohl die Werbetrommel mächtig gerührt wurde, fanden sich seit 1988 nur 54 „AusländerInnen“, die die Einstellungsvoraussetzungen erfüllten und gleichzeitig bereit waren, ihre alte Staatsbürgerschaft aufzugeben.

Aber selbst wenn die „ausländischen“ Jugendlichen ihre Verbundenheit zur Staatsangehörigkeit ihrer Eltern zurückstellen und Deutsche würden, was nach dem seit 1991 gültigen Ausländergesetz etwas leichter ist, wären es nicht viele, die für den Polizeidienst in Frage kämen. Nur jeder vierte deutsch-türkische Schüler in Berlin erfüllt mit einem Realschulabschluß die Mindestvoraussetzung für den Polizeidienst. Bei den deutschen Schülern dagegen sind es drei von vier Schülern. Auch das eine Folge der Versäumnisse in der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Trotz bester Erfahrungen bleibt das „Experiment“ bis 1993 auf Berlin beschränkt.

Immigranten-Polizei als Immigranten-Hilfe

„Gerade in der jetzigen Situation wäre es wünschenswert, wenn es zumindest in Bezirken mit hohem Ausländeranteil Vertrauensbeamte gäbe, die mit den Problemen und vor allem mit der Sprache der Ausländer vertraut wären.“ Bundesinnenminister Seiters zeigte im Januar 1993 Pioniergeist und überraschte die Öffentlichkeit mit dem bahnbrechenden Vorschlag, Ausländer in den Polizeidienst aufzunehmen. Und als junge Deutsch- Türken nach den Morden in Solingen ihrer angestauten Wut und Verzweiflung freien Lauf ließen, Autobahnen blockierten und bundesweite Riots drohten – klagten die Einsatzhundertschaften, daß sie nicht durchblickten, was da draußen auf den Straßen vor sich gehe. „Wir verstehen nichts! Wir wissen nicht, welche Parolen die rufen, ob das Linke, Rechte oder sonst etwas sind.“

Christian Pfeiffer, Direktor des kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, nennt fünf Gründe, weshalb sich durch die verstärkte Aufnahme von „Ausländern“ in die Reihen der Ordnungshüter die „Innere Sicherheit“ verbessern würde: Die in der Bundesrepublik lebenden Einwanderer würden sich erstens sicherer fühlen, wenn sie davon ausgehen könnten, daß auch ihre Landsleute bei der Polizei Dienst tun. Zweitens würde eine Anwerbung von Einwanderern für die Polizei der Gefahr entgegenwirken, daß sich bedroht fühlende Ausländer bewaffnen und zu ihrem Schutz „Bürgerwehren“ schaffen. Deutschland würde drittens mit einem solchen Schritt demonstrieren, daß es die Sorgen und Ängste der hier lebenden Einwanderer ernst nimmt. Die deutsche Polizei würde mehr als bisher für die Probleme, Ängste und Sichtweisen „ausländischer“ BürgerInnen sensibilisiert. Fünftens würde die Einbeziehung von Einwanderern in den Polizeidienst schließlich die Effizienz der deutschen Polizei im Bereich der sogenannten „Ausländerkriminalität“ erhöhen.

So, wie Pfeiffer den Vorschlag interpretiert, hatte Innenminister Seiters ihn nun allerdings auch wieder nicht gemeint. Kaum hatte er seinen Vorschlag unterbreitet, beruhigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar ihre Kundschaft und stellte klar, daß es nicht um mehr Sicherheit für Ausländer, sondern vor Ausländern ging: „Dem Innenminister geht es darum, den ausländischen Ganoven wirksamer Paroli zu bieten – mit unauffälligem Beschatten und perfekten Sprachkenntnissen. Dabei muß jedoch klar sein, daß jeder, der die Polizeiuniform trägt, deutscher Staatsbürger ist, gleich woher er stammt.“

Sonderstatus zur Überwachung einer „Problemgruppe“

Die vorläufig letzte Runde der Endlosdebatte „Ausländer in der Polizei“ offenbart einmal mehr die altdeutsche Paranoia, Ausländer als potentielle „Besatzungsmacht“ zu sehen, als Wühlmäuse und Störer, die die öffentliche Ordnung untergraben. Nicht weil die Immigranten Probleme haben, will man nun 1994 bundesweit Ausländer in den Polizeidienst übernehmen, sondern weil sie Probleme machen. Nicht im normalen Vollzugsdienst sollen sie an der „Inneren Sicherheit“ mitarbeiten, sondern als Verbindungs„offiziere“ in kriminalitätsbelasteten „Ausländervierteln“ und als verdeckte Ermittler im Bereich der Organisierten Kriminalität. Es ist eine Politik der Symbolik, zu der Seiters animierte, die „Ausländer“ erneut stigmatisiert, eine weitere Szene im Drehbuch der Bedrohung der „Inneren Sicherheit“ durch kriminelle Banden von Süd- und Ostländern.

Und was kommt nach dem ganzen Mediendonner „hinten raus“? „Noch passen die nicht-deutschen Polizisten in Deutschland“, so der Polizeiexperte und Mitarbeiter von „Bürgerrechte und Polizei“, Otto Diederichs, „bequem in einen Reisebus.“ Bayern will die Öffnung der Polizei für Einwanderer auf „Einzelfälle begrenzen“, und Schleswig-Holstein gedenkt, im Herbst 1994 Immigranten in den Polizeidienst aufzunehmen. Bremen und das Saarland zeigten sich für diesen Vorschlag „offen“. Hessen versprach 1993 in einem „Pilotprojekt“ Einwanderer in das Angestelltenverhältnis zu übernehmen. Und ab 1994 wagt Hessen sogar das revolutionäre Experiment, vier Nichtdeutsche (per Ausnahmeregelung) in die Ausbildung zu übernehmen, die dann in ein paar Jahren auch Hoheitsrechte ausüben dürfen. In Hamburg arbeiten seit 1982 vier Deutsch-Türken als Angestellte bei der Polizei. Rheinland-Pfalz hat im September 93 mit der Ausbildung von acht Einwanderern zu Polizeibeamten begonnen. Und in Nordrhein-Westfalen hat eine „Handvoll Beamter“ einen ausländischen Paß. In Mecklenburg-Vorpommern überlegt sich der Innenminister, im grenznahen Raum polnische Bürger einzusetzen. In Niedersachsen gab es 1993 34 Beamte aus EG-Staaten. Und in Baden-Württemberg begann man – immerhin – im März 93 mit einer Testphase, zwanzig bis dreißig Einwanderer zu Polizisten auszubilden.

Gekürzter Beitrag aus dem Buch (gemeinsam mit Klaus Farin) „Die Scharfmacher. Schauplatz Innere Sicherheit“, Rotbuch Verlag, Hamburg 1994. Erscheint heute

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