Windkraft mit Rückenwind

Erste Messe für regenerative Energien in Nordrhein-Westfalen belegt Boom bei Windkraftanlagen / Höhere Gebühren für Betreiber drohen  ■ Aus Hamm Ralf Köpke

Spüren die konventionellen Kraftwerksbauer derzeit das Konjunkturloch, so erleben die Hersteller von Windkraftanlagen zur Zeit einen Boom. „Allein in diesem Jahr installieren wir mit über 100 Megawatt Leistung mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen“, sagt Johannes Mock, Vertriebsleiter beim Marktführer Enercon aus dem ostfriesischen Aurich. Für die wirtschaftlich schwache Region hinterm Deich hat dieser Boom auch einen positiven Nebeneffekt: Noch vor anderthalb Jahren arbeiteten 120 Beschäftigte bei Enercon, deren erste Produktionshalle gerade die Größe einer Garage hatte; mittlerweile schrauben 460 Mitarbeiter die Windkonverter in Serienproduktion zusammen.

Die Firma Tacke Windtechnik aus dem südniedersächsischen Salzbergen erwartet mindestens eine Umsatzverdoppelung in diesem Jahr: „Wir haben jetzt schon Aufträge bis weit ins nächste Jahr hinein“, erklärt deren Berater Thomas Eselmann. „Für 1994 sind wir ausgebucht“, signalisiert auch Thies Reimers von der Deutschland-Vertretung des dänischen Hersteller Vestas.

Alle Windkraftanlagen-Produzenten profitieren von dem seit Anfang 1991 gültigen Strom-Einspeisungsgesetz für erneuerbare Energien. Danach sind alle Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtet, den aus Wasser, Sonne und Wind erzeugten Strom abzunehmen und – im Vergleich zu früher – besser zu vergüten. So erhält ein Windkraftbetreiber jetzt knapp 17 Pfennig für jede Kilowattstunde, die er ins Netz seines Regionalunternehmens liefert. Bei dieser Vergütung lohnt es sich für private Investoren, zum Stromproduzenten zu werden.

Zwei Trends zeigte Nordrhein- Westfalens erste Messe für regenerative Energien, die „renergie '94“ in Hamm, auf: Die Windräder werden immer leistungsstärker. Liegt die Standardgröße derzeit bei 500 Kilowatt, so sind die ersten Ein- Megawatt-Anlagen in Planung. Der niederländische Hersteller NedWind, Newcomer auf den bundesdeutschen Markt, errichtet im westfriesischen Emshaven den ersten Prototyp, für den er im nächsten Jahr hierzulande Käufer finden will. Mit den leistungsfähigeren Anlagen steigt auch im Binnenland die Wirtschaftlichkeit. „Nicht nur an der Küste weht eine kräftige Brise“, so Thies Reimers von der Firma Vestas: „Im Binnenland liegt für uns ein zweiter Markt.“

Einen kräftigeren Wermutstropfen in diesen Kelch schüttet allerdings Joachim Behnke, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Windenergie (DGW): „Wir haben das Gefühl, daß die Strombranche mit der Forderung nach Netzverstärkungskosten den Ausbau der Windkraft unterlaufen will.“ Um die – objektiv notwendigen – zusätzlichen Umspannwerke, Transformatoren oder neue Kabel zu finanzieren, fordert die Energieversorgung Weser-Ems AG, eine PreussenElektra-Tochter, als Vorreiter der Energieversorger 342 Mark pro angeschlossenem Kilowatt. Gegen diese „Strafgebühr“ klagt die DGW vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg.

„Bei der heutigen Standardgröße für Anlagen von 500 Kilowatt drohen dem Betreiber zusätzliche Kosten von 170.000 Mark“, so DGW- Geschäftsführer Behnke. Diese Summe setze die Wirtschaftlichkeit vieler Projekte aufs Spiel. Nachdem schon im vorigen November der Bundesgerichtshof bestätigt hatte, daß Windanlagenbetreiber die sogenannten Nutzanbindungskosten (das heißt Anschluß an die bestehenden Stromtrassen) aus eigener Tasche bezahlen müssen, sieht Behnke bei einer Prozeßniederlage allein „drei Viertel aller in Niedersachsen geplanten Windanlagen den Bach runtergehen“. Die DGW will dann durch alle Instanzen klagen.

Eine politische Lösung wäre der DGW bei dem unsicheren Prozeßausgang viel lieber. Im nächsten Jahr will der Bundestag erneut über das Stromeinsparungsgesetz beraten.

Dabei kann sich die DGW vorstellen, auf höhere Vergütungstarife zu verzichten, falls die Stromunternehmen die Netzverstärkungskosten tragen müßten. „Alles andere wäre inkonsequent“, so Behnke, „soll der Aufschwung der Windenergie nicht gestoppt werden.“

Bei aller Freude über den Windkraftboom darf nicht übersehen werden, daß die zum Jahresanfang installierten 1.800 Windanlagen es zusammen auf eine Leistung von knapp 340 Megawatt brachten. Das entspricht gerade einmal der Hälfte der Kapazität eines Steinkohlenkraftwerkes.