Kein Quantensprung

■ VW-Aktionäre kritisieren Vorstand

Hamburg (taz) – Auf der Hauptversammlung der Volkswagen AG bemühte sich der Vorstand vor mit 3.500 Aktionären vollen Rängen redlich, die hohen Verluste von 1,94 Milliarden Mark im vergangenen Jahr zu rechtfertigen und den Aktionären neue Hoffnungen für das kommende Jahr zu machen. Da konzernweit im ersten Quartal 1994 nur noch ein Minus von 342 Millionen Mark erwirtschaftet wurde, deutlich weniger als im Vorjahreszeitraum (minus 1,2 Milliarden Mark), verbreitete VW-Chef Ferdinand Piäch Optimismus, daß bis Jahresende ein ausgeglichenes Ergebnis geschafft werden könnte. 1,4 Millionen Fahrzeuge seien bis Ende Mai weltweit ausgeliefert worden, 6,1 Prozent mehr als im entsprechenden Zeitraum 1993. Doch zahlreiche Aktionäre äußerten ihren Unmut über den katastrophalen Einbruch bei Seat und die Verluste bei Audi. Schwierigkeiten hatte der Vorstand vor allem bei der Erklärung der späten Reaktion auf die hohen Verluste bei Seat. Der spanische VW-Ableger allein brachte dem Wolfsburger Autohersteller letztes Jahr 1,8 Milliarden Mark Miese ein. Auch der „Krieg der Giganten“ zwischen Opel und VW wegen des Verdachts der Industriespionage nach dem Wechsel von Opel-Manager José Ignacio López zu VW überschattete die Freude über die von López angeregten Umstrukturierungen. Vorstand und Aufsichtsrat stellten sich jedoch demonstrativ vor ihren Einkaufschef und kritisierten Opel heftig für seine Methoden. Kritik wurde auch an den hohen Rückerstattungen der Vorstandsmitglieder geäußert, die schon einen Selbstbedienungscharakter annehmen würden. Doch die Ankündigungen einiger Aktionäre, etwa der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern, wird wohl nicht viel fruchten. Nicht einmal die Banken könnten viel ändern: Nach dem speziellen VW- Gesetz können sie kein Depotstimmrcht ausüben, sondern müssen für jede Einzelabstimmung eine schriftliche Order der gut 700.000 Aktionäre einholen. Auch diese einzigartige Regelung wurde auf der Versammlung kritisiert. 1995 sollen die Verluste vor allem durch Absatzsteigerungen in Japan, Nord- und Südamerika ausgeglichen werden. Im Inland bleibt die Prognose dagegen düster: In den ersten vier Monaten des Jahres ging der Umsatz um 4,1 Prozent zurück. Die nun zum zweitenmal angestrebte schwarze Null scheint bei VW noch mehr als einen Quantensprung entfernt zu sein. Joachim Tiffe