: Mogelpackung Europa
Im Wahlkampf für den 12. Juni verkaufen viele Parteien nationale Themen mit EU-Etikett Die Mobilisierung der Wählerschaft fordert Vereinfachung ■ Von Hans Monath
Bonn (taz) – Überzeugten Europäern wird in TV und Radio gegenwärtig viel zugemutet: Über den Fernsehschirm hopsen im Schneidersitz Yogi-ähnliche Jünger, im Hörfunk verkünden Sprecher mit eifernder Stimme christlich-fundamentalistische Botschaften. Der Mummenschanz dient der Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern für die Wahl am 12. Juni. 26 politische Organisationen verzeichnen die deutschen Wahlzettel – von der Naturgesetzpartei bis zur Christlichen Liga. Daß nur wenige von ihnen über die Mittel und den Apparat für eine flächendeckende Plakatierung der Republik verfügen, erscheint da fast als ein Segen.
Chancen dürfen sich ohnehin nur wenige Parteien ausrechnen, aber auch diese haben Öffentlichkeitsarbeit bitter nötig. Die Frage nach dem Namen der eigenen Europa-Kandidaten können wenige Tage vor der Wahl die wenigsten Bundesbürgerinnen und Bundesbürger (15 Prozent) beantworten, wie jüngst eine Umfrage ergab. Die Unwissenheit beunruhigt jedoch nur wenige: Gut die Hälfte ist gar nicht daran interessiert, die Kandidaten kennenzulernen.
Während Abgeordnete in Länderparlamenten und im Bundestag die Bedeutung europäischer Entscheidungen jeden Tag erfahren, gehen viele Wählerinnen und Wähler immer noch davon aus, daß das Europäische Parlament im Grunde nichts zu sagen hat. Bei Wahlbeteiligungen um die 60 Prozent müssen sich die Wahlkampfmanager der Parteien den Kopf zerbrechen: Wie krieg' ich die Frau, wie den Mann an die Urne?
Weil es erfolgvversprechend scheint, präsentieren viele Parteien Mogelpackungen: Sie führen den Europawahlkampf fast ausschließlich als nationalen Positionskampf mit europäischem Akzent. Nicht nur die CDU fährt auf diesem Ticket („Mit Europa gegen Kriminalität und Asylmißbrauch“ oder die schlagkräftige Parole: „Frieden für alle“). Auch die SPD hat in den vergangenen Wochen zunehmend die nationale Karte ausgespielt.
Die unter dem Dumpfmotto „Sicherheit statt Angst“ antretenden Sozialdemokraten haben zwar zu wichtigen Themen wie Arbeitsplätze, Modernisierung der Wirtschaft, Innere Sicherheit, Umwelt-, Verkehrs- oder Agrarpolitik in der Europäischen Union Positionspapiere erarbeitet. In den Broschüren aber preist sich die Partei als „Anwalt deutscher Interessen in Europa“.
Auch Parteichef Rudolf Scharping haut in diese Kerbe. In der Europadebatte des Bundestags warf er vergangene Woche gar dem Kanzler vor, von den deutschen Beitragszahlungen nach Brüssel fordere er für die neuen Bundesländer zuwenig zurück. CDU-Fraktionschef Schäuble bescheinigte dem Oppositionsführer daraufhin, er leite Wasser auf die Mühlen der Europagegner. Auch aus der Niederlage ihres Kandidaten bei der Wahl des Bundespräsidenten wollen die Genossen am 12. Juni Vorteil ziehen. Sie kleben Plakate mit dem Konterfei von Johannes Rau und dem Text: „Diese Wahl bestimmen Sie!“
Bei Bündnis 90/ Die Grünen dagegen spielt Europa eine wichtigere Rolle als noch vor wenigen Jahren. „Viele in der Partei haben inzwischen begriffen, daß es am 12. Juni nicht nur um die Signalwirkung für spätere Wahlen geht“, beobachtet Spitzenkandidatin Claudia Roth. Im Gegensatz zu anderen Parteien stellen die Bündnisgrünen nicht prominente Bundespolitiker in den Vordergrund, die gar nicht für Europa kandidieren.
Die Themen gesamteuropäische Perspektive, Prinzip Demokratisierung sowie ökologischer und sozialer Umbau sollen Wählerinnen und Wähler überzeugen. Den letzten Ruck zur Stimmabgabe aber erhofft sich Claudia Roth vom grünen Versprechen, einen Rechtsruck zu verhindern: „Das mobilisiert sehr viele Leute.“
An ein zweistelliges Ergebnis glaubt die Spitzenkandidatin allerdings nicht: „Alles um neun Prozent wäre ein Supererfolg.“ Das Abschneiden der Bündnisgrünen hängt schließlich auch davon ab, ob die Liberalen oder gar die „Republikaner“ die Fünfprozenthürde nehmen.
Daß für die FDP das Rennen noch völlig offen ist, gestehen auch Liberale ein. Im Gegensatz zur Bundestagswahl gibt es am 12. Juni keine Zweitstimmen, von denen die Liberalen auf Bundesebene immer profitiert haben. 14.000 Plakate mit Fotos der Europa-Spitzenkandidatin Uta Würfel (Slogan: „Im Namen der Freiheit“) und des Außenministers Klaus Kinkel (Slogan: „Im Namen des Friedens“) kleben Helfer.
Ganz staatsmännisch gibt sich die CDU. Sie wuchert mit ihrem Pfund Kanzler Kohl, der laut Parteiwerbung „der führende Staatsmann Europas“ ist. Aber auf die Obrigkeit und 2000 Veranstaltungen mit Prominenz allein wollen sich die Christdemokraten nicht verlassen. Sie setzen auch auf Überzeugungsarbeit im Vorortgespräch von Wahlkämpfer und Wähler: Allein in den neuen Bundesländern sollen 100.000 „Gesprächskontakte“ realisiert werden. Daß die Prominenz durchs Land tourt, gilt bei den „Altparteien“ als selbstverständlich. Neu aber sind die Kommunikationsformen, die sich Parteien und Werber ausgedacht haben: Mit einer trockenen Rede alleine ist heute niemand mehr hinter dem Ofen vorzulocken. Der politische Termin wird zum Erlebnisspektakel aufgepeppt (Junge Liberale), die Diskussion in einen volksfestartigen Rahmen eingebettet (Bündnisgrüne).
Bei ihrem Versuch, mit dem europäischen Traktor den nationalen Karren aus dem Dreck zu ziehen, stehen die deutschen Parteien allerdings nicht alleine: Die Parteien in den übrigen EU-Staaten halten das nicht anders.
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