: Mini-Volkszählung per Telefon
■ Der diesjährige Mikrozensus ist angelaufen / Das sollte ja nun wirklich nicht sein: Der Interviewer kommt aus der Nachbarschaft Von Kai von Appen
Es ist mal wieder soweit: Der alljährliche Mikrozensus ist angelaufen. Auch dieses Jahr sollen wieder 8600 HamburgerInnen die Statistiker in Wohnzimmer und Küche blicken lassen, persönliche Daten preisgeben und alles Mögliche über Gewohnheiten, Arbeitsplatz und Einkünfte erzählen - 8600 gläserne Haushalte für die neue Mikrozensus-Erhebung, auch „Mini-Volkszählung“ genannt. In Poppenbüttel gab es schon die erste Datenpanne.
Sabine Meier* aus dem Müssenredder traute ihren Augen nicht, als sie vor kurzem Post vom Statistischen Landesamt bekam. Darin kündigte sich „Interviewer Nr. 086“ – alias Karsten Schmidt* aus dem Haubenlerchenweg an. In Schreibmaschine war zusätzlich vermerkt worden: „Wir können das Interview auch telefonisch in wenigen Minuten erledigen!“
Sabine Meier ist empört: „Herr Schmidt wohnt in unmittelbarer Nachbarschaft, nur ein paar Straßen weiter. Mit meinem Gemüsehändler spielt er Fußball, und Kinder aus dem Haubenlerchenweg gehen mit meinen Kindern in einer Klasse.“
Der Interviewer aus der Nachbarschaft? Hamburgs Datenschützer Peter Schaar: „Das sollte nicht sein.“ Jedoch sei der Begriff „Nachbarschaft“ zu päzisieren. Schaar: „Bei der Volkszählung gab es mal die Faustregel: Der Zähler darf nicht aus dem Block und den Block umgebenden Blöcken kommen.“ Im Klartext: Es müssen mindestens zwei Straßenzüge dazwischen liegen.
Der Chef des Statistischen Landesamtes, Erhard Hruschka, rechnet anders: „Wir haben uns bei der Volkszählung mit dem Datenschutzbeauftragten darauf geeinigt, daß zwischen Zähler und den gezählten 24 Block liegen müssen. In diesem Fall sind es bestimmt 40 Blöcke.“ Im Klartext: Nach Hruschkas Blockrechenmethode müssen nur 24 Wohnhäuser dazwischen liegen. Daher sei in diesem Fall die Norm eingehalten worden, auch wenn im vertrauten Poppenbüttel nur 500 Meter Luftlinie zwischen Interviewer und Befragten liegen. Hruschka: „Das hält den schärfsten datenschutzrechtlichen Grundsätzen stand.“
Hruschka gesteht allerdings ein, daß Telefoninterviews fragwürdig sind. Hruschka: „Das sollte nicht sein. Interviews am Telefon sind schlecht.“ Das werde höchsten in Ausnahmefällen gemacht, wenn der Befragte nur über diesen Weg zur Auskunftserteilung bewegt werden könne. Hrusckka: „Das ist aber nicht der Regelfall.“
Das darf es auch nicht, so Peter Schaar: „Telefonische Befragungen halte ich für höchst zweifelhaft und unzulässig.“ Der Interviewer müsse sich schließlich ausweisen können. „Am Telefon weiß man ja gar nicht, ob der Interviewer am anderen Ende überhaupt berechtigt ist, die Daten abzufragen“. Schaar: „Die Frau hat aber die Möglichkeit, die Sachen ausgefüllt zurückzuschicken. Sie muß ihm ja nicht die Angaben geben.“
Und wenn frau gar nicht zur gläsernen Poppenbüttlerin werden möchte? „Man hat kaum eine Chance, sich zu entziehen“, so der Datenschützer: „Die gerichtlichen Entscheidungen sind eindeutig.“ Die einzige Chance für Boykotteure: Man wird im Datenchaos vergessen, oder das Statistische Landesamt verzichtet irgendwann im Einzelfall auf die Erhebung der persönlichen Daten.
*Namen geändert
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