: Mit Attentaten wird nicht gerechnet
■ Volksvertreter feiern Volksfest ohne Volk, oder: Tag der Deutschen Einheit als Sicherheitsrisiko
Wenigstens etwas: „Mit Attentaten und Militanz wird nicht gerechnet“, sagt der stellvertretende Leiter des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Jachmann. Doch ansonsten wird es am „Tag der deutschen Einheit“ nur so brummen in der Polizei-Einsatzzentrale. Hauptaufgabe bei höchster Sicherheitsstufe: Das Volk fernzuhalten von den Volksvertretern, von Helmut, Rudolf, Roman, Richard – denn zum großen Staatsakt, 13 Tage vor der Bundestagswahl, kommt die gesamte deutsche Politprominenz nach Bremen, um das Jahr fünf für Großdeutschland am 3. Oktober zu feiern. Der Vorsitz im Bundesrat beschert Bremen auch die diesjährige, über eine Million Mark teure Einheitsfeier. Und laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes „plant die autonome Szene bundesweit wie zu jedem 3. Oktober Gegenaktionen“, so Jachmann – ein Umstand, der die Polizei in helle Aufregung versetzt, deren Vorkehrungen derzeit wiederum die Evangelische Kirche in Aufregung versetzen.
Die Queen war mal in Bremen, ein Europäisches Gipfeltreffen hat ebenfalls mal stattgefunden – doch ein solcher Staatsakt hat hier Premiere. Gleichzeitig soll der „Tag der deutschen Einheit“ ein „fröhliches Volksfest sein, bei dem Bremen sich auch darstellen kann“, so Senatssprecher Klaus Sondergeld – und da fangen die Dinge bereits an, sich nicht mehr zu vertragen. Denn ein Volksfest braucht, wie der Name schon sagt, viel Volk, ein Staatsakt dagegen verträgt überhaupt kein Volk. „Die heutigen Sicherheitsstandards verlangen es, daß an Orten, wo Staatsakte stattfinden, eine weiträumige Absperrung gemacht wird“, so Sondergeld. So wird der Festakt mit rund 1.000 illustren Gästen im Kongreß-Zentrum stattfinden, für die im Rathaus auch nicht genügend Platz gewesen wäre. Dumm nur, daß zu diesem Staatsakt auch ein ökumenischer Gottesdienst gehört, der ursprünglich im Vorzeigedenkmal Dom stattfinden sollte. „Nur müßte man dann die Innenstadt volksfrei machen“, so Sondergeld – wg. Sicherheit. Die Senatskanzlei suchte deshalb nach Ausweichkirchen – und die Kirche fühlt sich dreingeredet.
Das Bremer Volk währenddessen soll eben das Bremer Volk sein, das die „Darstellung der Vielfältigkeit des Föderalismus“ im Rahmenprogramm vervollständigt. Also: Unter dem Motto „Bremen – Lassen Sie sich überraschen“ (das Saarland wählte im letzten Jahr wenigstens sowas wie „Europäische Kompetenz“) die „Selbstdarstellung des prosperierenden Wirtschaftszweiges der Bremischen Nahrungs- und Genußmittelindustrie“ (sprich: große Freß- und Saufstände in der City) beleben, zum Beispiel. Und, politisch korrekt, auf dem „bremische Weltoffenheit demonstrierenden, nicht deutschtümelndem Veranstaltungshöhepunkt“ am 2. Oktober ein „Spektakel der Weltkulturen“ mit „Drums of the world“ und Diaprojektionen auf die umliegenden Gebäude am Domshof bewundern.
Der Aspekt des „nicht-deutschtümelnden“ ist schnell noch ins Programm mit aufgenommen worden. Doch Konzept war dies nicht: ein fröhliches Volkfest läßt sich von Sponsoren finanzieren – die Bremer Wirtschaft finanziert einen guten Teil der Millionenveranstaltung –, eine kritische Retrospektive über fünf Jahre Großdeutschland nicht. „Es war klar“, so Sondergeld, „es findet das statt, was finanziert wird.“ Susanne Kaiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen