piwik no script img

Ein Trinker ist ein Trinker ist ein...

■ Das „Walser Ensemble“ spielt Hans Fallada im Theater am Ufer

Der kleine Mann hat Probleme in seinem Geschäft. Also trinkt er den ersten Schnaps seines Lebens. Der kleine Mann streitet sich mit seiner Frau Magda. Also trinkt er den zweiten Schnaps. Er fühlt sich schlaff und feige. Also trinkt er den dritten und vierten, ach was soll's, fünften und sechsten, siebten, achten, neunten Schnaps. Und langsam fühlt der kleine Mann sich wachsen, immer größer, immer selbstbewußter werden. Wer einmal in die Flasche guckt...

Erwin Sommer, so heißt der Schnapsgurgler, taumelt, verliert den Boden unter den Füßen, stürzt, tief hinab – aus seinem Kleinbürgeridyll ins gemeine Elend. In seinem Delirium beklaut er das eigene Geschäft, würgt seine Frau, wird in den Knast expediert, entmündigt in eine Anstalt eingewiesen, geschieden, gedemütigt, zerbrochen. Kleiner Mann – was nun? Selbstmord, die letzte Freiheit des entehrten Bürgers, im Tode dann der Traum vom ewigen Rausch.

Hans Fallada war, das darf man 101 Jahre nach seiner Geburt ruhig sagen, kein großer Dichter, was seiner Popularität nicht schadete. Im Gegenteil, über 300.000 Exemplare seines „Trinker“ wurden verkauft, das Fernsehen verfilmte den Stoff, dabei ist das autobiographisch gefärbte Buch wahrlich kein Meisterstück. Im ersten Teil nur eine mittelprächtige Beschreibung einer Säuferkarriere, im zweiten eine passable Sozialreportage über das Gefängnisleben. Da hat jemand seine eigenen Ängste mit der Sucht, Erfahrungen mit der Entziehungsanstalt, in die Fallada im Herbst 1944 eingeliefert wurde, aufgeschrieben: In schlichten Worten, mit viel Sympathie für den doch ziemlich lächerlichen, armseligen Menschen, ohne freilich die Ursachen, auch die gesellschaftlichen, erforschen zu wollen; oder etwa das Phänomen der Sucht so existentiell zu sehen, wie das Dostojewski im „Spieler“ vermochte: In der Seele von Falladas durchschnittlichem Helden kann man sich nicht verlaufen.

Für das Walser Ensemble hat Bernd Ludwig den „Trinker“ nun durch und durch solide, ja nüchtern bearbeitet. Er verknüpft weder Erwin Sommers Weg nach unten mit dem des Autors, was denkbar gewesen wäre, er erzählt auch nicht – gegen die Intention Falladas – den Fall S. als Kleinbürgergroteske, was wünschenswert gewesen wäre, Ludwig zeigt den Trinker zuallererst als Trinker. Erwin Sommer ist Insasse einer Heilanstalt und erinnert sich – vom ersten bis zum letzten, erträumten Schnaps.

Auf der Bühne sehen wir als wichtigstes Requisit ein Stahlbett. Drinnen schläft der Saufaus, man erkennt es an der langen Nase, die aus der Bettdecke hervorlugt, als schnüffele sie einen guten Tropfen. Und bald krabbelt unter dem Gestell auch ein lüsternes, mit einer Pappkrone geschmücktes Mädchen hervor, die „reine d'alcool“, und wird ihn mit einer goldenen Schampusflasche bespritzen, ins Leben zurückholen. Doch das Traumbild vergeht. Sommer befindet sich ja auf Entziehungskur, und da marschiert auch schon die Frau seiner Einbildung nun als blaugeschürzter Gouvernanten-Engel daher, um ihm eine Schüssel unter den Hintern zu zwängen.

Krankenhausrealität und Traumgesichte durchweben die Erinnerungen des Trinkers in Ulrich Simontowit'z Inszenierung. Bald liegt Sommer im Bett, starrt an die Decke und redet sich kalt und ruhig zurück in sein Leben. Bald wirft er einen Schal um seinen gestreiften braunen Pyjama, schiebt den Strohhut frech in den Nacken und zecht mit seiner Königin des Alkohols, grölt, wippt übermütig auf seinem Drahtbett und kippt becherweise Wasser in sich hinein. Bald krabbelt er am Boden, saugt verzweifelt an Flaschen, an einem Wasserschlauch, bald steht er seiner Frau unsicher gegenüber. Ein Versager, sonst nichts.

Das Walser Ensemble hat eine recht ordentliche Inszenierung auf die Bühne gestellt. Die Regie ist solide, das Spiel von Bernd Ludwig als Trinker nie übergebührlich laut, und Sabine Vitua, die die Frauen verkörpert, kann immerhin mit lüderlichem Lächeln als Verführerin wirken. Es ist eine brave Aufführung, die mit gutem alten Theaterhandwerk die Geschichte vom Fluch der Trunksucht erzählt. Nicht erzählt wird vom gebeutelten Kleinbürger, der seinen eigenen Mief in keinem Moment reflektiert. Dirk Nümann

„Der Trinker“ von Hans Fallada, weitere Vorstellungen bis auf weiteres Fr./Sa., 22.30 Uhr, Mo., 20 Uhr, Walser Ensemble im Theater am Ufer, Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen