piwik no script img

Benzinkanister, schwarz-rot-gold

Die Fabrik Osloer Straße steht auf einer schwarzen Liste von Neonazis – Ab heute gibt es dort eine Woche lang „Kultur gegen Rechts“: Ausstellung, Filme, Konzerte etc.  ■ Von Volker Weidermann

Das waren Zeiten, als die Streichhölzer noch von Hand geschnitzt wurden und Schwedenhölzer hießen. Doch dann kam Albert Roller und dachte sich eine Maschine aus, eine Zündholzherstellungsmaschine, mit der sich gute Geschäfte machen ließen, und die stellte er im Wedding auf, in einer Fabrikhalle in der Osloer Straße.

SpaziergängerInnen, die heute zwischen S-Bahnhof Bornholmer Straße und U-Bahnhof Osloer Straße entlanggehen, sehen von dem hundert Jahre alten Bau nur noch eine Industrieruine mit einem umzäunten Vorgärtchen. Auch wenn man, durch ein weißes Schild auf ein Kulturzentrum hingewiesen, in den Innenhof gelockt wird, ändert sich der Eindruck kaum: ein lichter Hinterhof zwischen hohen Backsteinbauten, eine Autowerkstatt und eine Tischlerei. Von Kultur keine Spur.

An der hinteren Ecke des Hofes dann wieder ein kleines Schild, das eine Druckerei und – na immerhin – ein Café im nächsten Hof ankündigt. „Im ersten Stock“ murmelt ein Arbeiter im Blaumann und weist auf eines der Treppenhäuser. Das Café ist gut besucht. Man kennt sich hier, denn die meisten Besucher wohnen oder arbeiten auf einem der drei Hinterhöfe oder in einem der vier Stockwerke, die von fünf Treppenhäusern aus zu begehen sind. Neben den handwerklichen Betrieben gibt es zum Beispiel die „Putte“, eine türkisch- deutsche Vorschule, in der zweisprachig unterrichtet wird. Dann gibt es eine Künstler- und Medienwerkstatt, eine Gästeetage der Pfadfinder, betreute Wohngemeinschaften und eine Ausbildungsstätte für benachteiligte Jugendliche. Hier hat auch Vis-à-vis, die Stadtteil- und Kulturzeitschrift, ihre Redaktionsräume. Außerdem gibt es ein Kino und einen großen Mehrzwecksaal, der vor allem von Theatergruppen, für Konzerte und Lesungen genutzt wird.

Geplant war das alles als eine Art kommunenartiges Gemeinschaftsprojekt, aber, so meint Astrid Schleuer, die das Kulturprogramm der Fabrik organisiert, „das war auf die Dauer nicht durchzuhalten“. Die Wohnungsplätze werden jetzt auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten. Das Zusammenleben auf engem Raum berge auch so noch genügend Konfliktstoff: Yoga-Kurse abzuhalten, wenn gleichzeitig ein Stockwerk tiefer eine Kreissäge kreischt, sei mitunter nicht immer einfach, sagt Astrid Schleuer. Aber man arrangiert sich immer irgendwie.

Die verschiedenen Projekte bilden zusammen den Trägerverband Fabrik Osloer Straße, der das Gelände in Erbpacht betreibt und die Räume vermietet. Dieser Trägerverband ermöglicht auch immer wieder gemeinsame Projekte, die für einen einzelnen Betrieb zu groß wären. Ein solches Projekt war die ökologische Umrüstung der Handwerksbetriebe – zentrale Planung, gemeinsame Ausarbeitung und Mittel. Am öffentlich wirksamsten ist jedoch das von Astrid Schleuer und ihren zwei Mitarbeiterinnen organisierte Kulturprogramm mit allwöchentlichen Kursen (u.a. Yoga und Selbstverteidigung) und großen Aktionsreihen. Eine davon beginnt heute, die Veranstaltungswoche „Kultur gegen Rechts“.

Die Idee hierzu entstand, als vor etwa einem dreiviertel Jahr die Listen von neofaschistischen Gruppen gefunden wurden, auf denen „auszumerzende“ Personen und Institutionen verzeichnet waren. Darunter auch die Fabrik Osloer Straße. Wie reagiert man darauf? Kurze Zeit später lernte Astrid Schleuer den Künstler und Fotografen Karl-Heinz Eiferle kennen, der gerade an einer Ausstellung zum Thema Rechtsradikalismus arbeitete. Dieses Projekt steht jetzt im Zentrum der Veranstaltungen in der Osloer Straße.

Zu sehen sind Objektkunst und Fotografien zum Thema Deutschland und das Wiedererstarken des Nationalismus, verknüpft mit der neuen Normalität, dem Vergessen und Verdrängen deutscher Geschichte. Dem stellt Eiferle die andere deutsche Wirklichkeit plakativ entgegen: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ ist der Titel des auffälligsten Objektes: Geschützt hinter einem rot-weißen Absperrgitter der Polizei sind drei Baseballschläger in einem Bilderrahmen aufgehängt, davor stehen drei Benzinkanister, und drei Sprungmesser stecken in einem Holzbrett, an dem steht: „Einer deutschen Eiche weiche nicht.“ Von den Objekten ist jeweils eines schwarz, eines rot und eines goldfarben. Die Mordinstrumente der Neofaschisten und Symbole ihrer Taten – von der Nation legitimiert, vom Staat geschützt. „Das ist so dargestellt, wie ich es bisher erlebt habe“, sagt Eiferle.

An mehreren Stellen im Raum ist in unterschiedlichen Arrangements die großformatige Bilderreihe eines vollbärtigen Lockenschopfes aufgestellt, der zum Skinhead mutiert. Die Zwischenform (ein Haarbüschel rechts, ein Bartbüschel links) sieht bizarr aus, sie steht für den Unentschiedenen. In einer der Anordnungen wird deutlich, wozu sich dieser Halbentschlossene entschließt: Die Installation mündet im Foto des Skinheads – kein Anlaß zur Auseinandersetzung, sondern nur die Bebilderung einer drohenden Gefahr.

Aber auch stillere, weniger plakative Bilder gibt es auf dieser Ausstellung zu sehen: Eine Bilderserie vom Bahnhof in Sobibor, dem Ort des fast vergessenen Vernichtungslagers in Polen, an der ukrainischen Grenze. Karl-Heinz Eiferle zeigt Fotos von Menschen am Bahnsteig, einem einfahrenden und später wieder abfahrenden Zug und den leeren Bahnsteig danach. Aufgenommen ist die Szene von der Rampe aus, wo die Häftlinge ankamen und heute Holzstämme verladen werden, direkt dahinter ist ein hoher Hügel, bestehend aus der Asche von 250.000 Menschen. Heute erinnert nur noch eine kleine Gedenktafel an das Schicksal dieser Menschen, in Deutschland ist der Name Sobibor praktisch unbekannt, und die Züge fahren planmäßig an jedes gewünschte Ziel.

Was passiert noch in dieser kommenden Woche „Gegen Rechts“? Der Berliner Soziologe und Publizist Eberhard Seidel-Pielen wird am Sonntag aus seinem neuen Buch „Die Scharfmacher. Schauplatz Innere Sicherheit“ lesen und seine Thesen zur Rolle der Polizei bei rechtsradikalen Übergriffen, zur aktuellen „universelle Gewalt“-Debatte und zum allgemeinen Ruf nach Strafverschärfung zur Diskussion stellen. Musikalischer Höhepunkt ist die morgige „Multikulturelle Musiknacht“ mit „Türkischem Ethno-Pop“ (von der Band „Dergah“), „Jereba“ aus Brasilien und einer HipHop-Überraschungsband. Von Montag bis Freitag spielt das Deutsch-Türkische Jugendtheater Wedding das Ionesco-Stück „Jakob oder Der Gehorsam“, und auch das Kino Eisenstein beteiligt sich mit einem politischen Filmprogramm an „Kultur gegen Rechts“: Unter anderem wird „Hitlerjunge Salomon“ von Agnieszka Holland gezeigt. Ein buntes und demonstratives Programm, eine klare Reaktion auf die schwarze Liste der Neonazis, aber auch statisch: ein Ausrufungszeichen.

Ab heute (Ausstellungseröffnung um 20 Uhr im Café) bis 11.6. in der Fabrik Osloer Straße, Osloer Straße 12, Wedding.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen