: Mittelstand mit roten Socken
Ist die PDS auf dem Weg zu einer ostdeutschen Volkspartei? / Bei den Kommunalwahlen in Mecklenburg wollen die Sozialisten zweitstärkste Partei werden ■ Von Christoph Seils
An Roland Setzkorn hätte Helmut Kohl seine helle Freude. Der Mann ist kein Jammer-Ossi, er hat es angepackt. Schon 1987 stürzte er sich in Röbel an der Müritz in das Abenteuer Selbständigkeit. Zwölf Mitarbeiter beschäftigt er heute in seinem Autohaus für Gebraucht- und Jahreswagen. Im Juni wird die neue Werkstatt eröffnet. Zufrieden sitzt Roland Setzkorn mit einer Tasse Kaffee in der Sonne – das Handy ist immer griffbereit – und betrachtet das von ihm organisierte Kinderfest. Doch plötzlich wird Roland Setzkorn einsilbig. Nach Worten ringend, wendet er sich an seinen Tischnachbarn. „Harald, ich soll sagen, warum ich auf der offenen Liste der PDS für den Stadtrat kandidiere?“
Gleich dreimal sollen Mecklenburger und Vorpommerer am 12. Juni ihre Kreuze machen. Neben dem Europaparlament werden auch die Kommunalparlamente neu gewählt, und sie sollen ihr Ja zur neuen Landesverfassung geben. Doch vierzehn Tage vor dem Wahltag sind dessen Spuren im Lande dünn gesät. Nur wenige vom Regen aufgeweichte Wahlplakate zieren die Hauptstraße von Röbel, die – im für die ehemalige DDR typischen Grau in Grau – S-förmig vom Hafen hinauf zum Pferdemarkt führt. Die Stadt, die sich viel vom Tourismus verspricht, wirkt wenig einladend. Von Wahlkampf keine Spur. Lediglich die PDS feiert am Hafen ein Kinderfest. „Die trauen sich nicht“, feixt die Bürgermeisterkandidatin der PDS, Liselotte Prehn, als sie hört, daß heute nur ihre Partei auf der Straße ist.
„Die haben die kompetenteren Leute“
„Hier sind die Investoren reihenweise verprellt worden“, empört sich Liselotte Prehn, während sie selbstgebackenen Kuchen verkauft. „Der CDU-Bürgermeister ist inkompetent. Er hat es nicht geschafft, die notwendigen Strukturen für Investitionen zu schaffen.“ „Arbeit“, ist auch an der Mecklenburgischen Seenplatte die einzige Antwort auf die Frage nach dem drängendsten Problem der Region. Offiziell liegt die Arbeitslosenquote bei 20 Prozent, größter Arbeitgeber ist der Westen, fast alle sind Wochenendpendler.
Rund 15 Prozent der 8.000 Röbeler wählten vor vier Jahren die PDS, jetzt wollen die Genossen Kurs auf den Bürgermeisterposten nehmen. Mehr als zehn Jahre war der Rat der Stadt der Arbeitgeber von Liselotte Prehn. Schon damals saß die 39jährige Wirtschaftskauffrau als SED-Abgeordnete im Kommunalparlament. „Ich habe nichts verbrochen“, kommt sie routiniert kritischen Nachfragen zuvor. Die Kandidatin gibt sich selbstbewußt und findet für die PDS ganz ungewohnte Töne: Ein Tourismuskonzept brauche die Stadt, und „endlich muß sich die Stadt mit den Gewerbetreibenden an einen Tisch setzen, um die Attraktivität der Stadt zu steigern“. Erst auf Nachfragen kommen auch die bekannten PDS-Parolen: Statt für reiche Wessis Eigentumswohnungen am See zu planen, sollte man doch die dringend benötigten Sozialwohnungen bauen. Jedes Jahr habe der Stadtrat die Kita- Gebühren erhöht und immer mehr Frauen so gezwungen, zu Hause zu bleiben. Doch die PDS-Frau bleibt realpolitisch. Stabile Kita-Preise will auch sie nicht versprechen. „Aber wir werden vorher alles andere versuchen.“
„Die haben kompetente Leute gesucht“, erläutert der Kfz-Meister Roland Setzkorn sein Engagement für die PDS. Von der Stadt fühlt er sich über den Tisch gezogen. Zwei Jahre habe er sich darum bemüht, von der Stadt das Grundstück zu kaufen, auf dem seine Werkstatt steht. Doch dann stand plötzlich ein neuer Besitzer vor ihm und hat gleich die Pacht erhöht. Aber Roland Setzkorn will nicht länger „nur am Straßenrand stehen und meckern“. Mit der PDS hat er keine Berührungsängste. „Die wollen doch für die Leute nichts Schlechtes.“ Trotzdem legt er Wert darauf, daß er nicht für die PDS, sondern auf deren offener Liste kandidiert, und auf eine Diskussion über das Programm des Landesverbands läßt er sich nicht ein. „Wir sind dem Landesvorstand keine Rechenschaft schuldig.“
Das Kinderfest ist gut besucht. Über 200 Kinder tummeln sich zwischen Minimotorrädern, Ponyreiten und Trampolins, aber auch viele Erwachsene trödeln über den Festplatz. Von Anfeindungen oder Beschimpfungen ist nichts zu hören. „Vor vier Jahren haben wir alle CDU gewählt, das war doch selbstverständlich, doch heute muß man sich das wohl genauer überlegen.“ Die PDS drängt sich nicht auf, nur wer darum bittet, bekommt die Wahlkampfzeitung überreicht, aber das sonnige Wetter lädt bei Kaffee und Kuchen zu einem kleinen Schwätzchen ein. Die zunehmende Bereitschaft, sich bei den Wahlen wieder den Genossen zuzuwenden, ist nicht zu überhören. „Vier Jahre haben es jetzt Tierärzte, Pfarrer und Lehrer versucht. Schauen sie sich doch mal um, hier müssen endlich wieder fähige Leute ran.“ Selbst abfällige Bemerkungen wie die von den „roten Socken“ haben ihre Schrecken längst verloren. Stolz tragen die PDS-Mitglieder am Infostand – an der Stelle, wo früher das Parteiabzeichen hing – eine kleine rote Socke. Seichte Selbstkritik – „natürlich ist es früher nicht so demokratisch zugegangen“ – ist bei allen Kandidaten ein rhetorisches Muß.
Schon bei den Bundestagswahlen 1990 erzielte die PDS mit 14,2 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern das beste Ergebnis in den neuen Bundesländern. Jetzt strebt die Partei ein „Brandenburger Ergebnis“ an. Die PDS will die 20-Prozent-Marke überspringen und zweitstärkste Partei werden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Im ehemaligen Club der Volkssolidarität von Malchow, rund 15 Kilometer nördlich von Röbel, spricht der Landesvorsitzende der PDS, Helmut Holter, auf einer Parteiversammlung über landespolitische Anforderungen. Bei der Abstimmung über die Landesverfassung sollen die PDS-Anhänger mit „nein“ stimmen, solange dort nicht die auch sozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger als Staatsziele festgeschrieben sind. Fast 70.000 Unterschriften (rund sieben Prozent der Wahlberechtigten) hat die PDS binnen kürzester Zeit gesammelt, um der Aufnahme des Rechts auf „Arbeit oder Arbeitsförderung“, „angemessenen Wohnraum“, „selbstbestimmte Schwangerschaft“ und „soziale Grundsicherung“ in die Landesverfassung Nachdruck zu verleihen. Schöne Worte, die an der praktischen Politik auch nichts ändern, doch sie sprechen den Menschen aus der Seele. Bei der Landesregierung in Schwerin ist die Sorge groß, die Verfassung könnte bei den Untertanen aus Wut über die derzeitige Landespolitik durchfallen.
Natürlich hat der Gast aus der Landeshauptstadt auch ein Arbeitsplatzkonzept parat. Die BRD sei auf dem Weg von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, schließt er messerscharf. Im Tourismus, beim Umweltschutz sowie in regionalen Wirtschaftskreisläufen könnten in Mecklenburg-Vorpommern über 100.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die rund 50 anwesenden Genossen – überwiegend im PDS-typischen Rentenalter – vernehmen's mit regungslosem Staunen. Mit dem Kopf nicken sie erst wieder, als sich Holter über die Wessis beklagt, die fast alles, was hier früher produziert wurde, heute von drüben herankarren. Nur einmal erwachen die Besucher aus ihrer Lethargie. Statt wieder in Ost und West zu spalten, solle die PDS, so fordert es einer von ihnen, endlich wieder die „Arbeitslosigkeit als Systemfrage begreifen“ und „die Solidarität von Arbeitern und Bauern in Ost- und Westdeutschland organisieren“. – „Jawohl!“ rufen die Rentner, und zum ersten und einzigen Mal gibt es an diesem Abend richtig heftigen Beifall.
Nur mühsam kriegt der Landesvorsitzende wieder die Kurve. „Die Partei muß Bewegung werden und sich an den Interessen der Menschen orientieren. Unsere Listen sind offen für ein breites Spektrum, nur so kann sich die PDS erneuern.“ Was die Partei darunter versteht, machen auch die Kandidaten für das Stadtparlament von Malchow deutlich, die sich anschließend vorstellen. Für jeden ist etwas dabei. Man möchte fast glauben, hier präsentiert sich eine ostdeutsche Volkspartei.
Angler und Kleingärtner auf der PDS-Liste
Die Hälfte der Kandidaten ist parteilos. Der Vorsitzende des Kleingartenverbandes, der durch ein Neubaugebiet die Kleingartenkolonie bedroht sieht, kandidiert ebenso wie der Vorsitzende des örtlichen Anglervereins als Vorkämpfer für den Umweltschutz. Der Landwirt auf der Liste klagt über die Benachteiligung der mecklenburgischen Bauern und ist außerdem im Jagdwesen aktiv. Natürlich fehlen auch der Auszubildende nicht, der sich gegen die Privatisierung des Jugendklubs engagiert, sowie die Angestellte des Demokratischen Frauenbundes, die verhindern will, daß die Frauen weiter ins soziale Abseits gedrängt werden. Und auch in Malchow findet sich auf der offenen Liste der PDS ein Unternehmer. Ein Fliesenhändler will die einheimischen Gewerbetreibenden vor Großinvestoren schützen.
Eine wahrlich bunte Truppe, die für den Landesvorsitzenden voll im neuen PDS-Trend liegt. Das Wahlprogramm ist pragmatisch und allgemein. „Sie werden viele Punkte finden, die so oder so ähnlich auch in den Programmen der anderen Parteien enthalten sind“, stellen selbst die Autoren fest und kommen anschließend zu dem, was die Anziehungskraft der PDS ausmacht. „Nie werden wir Maßnahmen der Entwürdigung, der Enteignung, der Entsolidarisierung, des Mietwuchers zustimmen, wie wir sie in den letzten vier Jahren erlebt haben.“ Auf die eine oder andere Weise haben dies viele Ostdeutsche erlebt, und die PDS hat für alle ihre kleinen und großen Klagen ein offenes Ohr.
In Malchow machen auch zwei andere Parteien Wahlkampf. Doch weder der bündnisgrüne Bürgermeister noch sein sozialdemokratischer Herausforderer verliert ein böses Wort über die sozialistische Konkurrenz. „Hier im Rathaus gab es nie Probleme bei der Zusammenarbeit.“ Allenthalben wird den Vertretern der PDS „Kompetenz“ bescheinigt.
„Wir müssen die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen“, lautet in Malchow und Röbel ein beliebter Spruch. Bislang brauchte die Partei des demokratischen Sozialismus mit ihrem politischen Gemischtwarenladen nicht mehr als ein Seelentröster zu sein. Daß mit dem Rückgriff auf die ostdeutsche Identität Stimmen zu fangen sind, haben spät auch das Bündnis und die SPD kapiert; mit dem Slogan „Born in the GDR“ werben die Bürgerbewegten, und die SPD verteilt Aufkleber mit der Aufschrift „Mein Herz schlägt links!“.
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