: Drei Pünktchen ohne eigenes Profil
FDP: Luft raus, Kinkel-Kritiker raus / Beim Rostocker Parteitag muß die „Partei der Besserverdienenden“ der Union offiziell die Treue schwören / Linksliberale wurden kaltgestellt ■ Aus Bonn Hans Monath
Bonn (taz) – Klaus Kinkel gibt sich gegenwärtig gerne locker. Der „schwäbische Rauhbautz“ (Eigeneinschätzung) fühlt sich stark genug, indirekt Schwächen einzugestehen – freilich solche Schwächen, die der Vergangenheit angehören. Ist er nicht überfordert mit seinen Pflichten als Außenminister und Parteichef? Mit der Doppelaufgabe, so sagte ein gelassener Studiogast dem ZDF, komme er „zunehmend besser zurecht“. In der eigenen Partei bleibt das neue Selbstbewußtsein des lange Zeit notorisch glücklosen Chefs nicht unbemerkt: „Der gewinnt richtig Spaß an seiner Aufgabe.“
Kinkel hat gut lachen: Bei der Bundespräsidentenwahl hat er vor zehn Tagen sein machtpolitisches Meisterstück geliefert. Den Schwung von Berlin will er nun nach Rostock retten: Die Liberalen, die dem früheren BND-Beamten bislang nur widerwillig gefolgt sind, müssen sich am Wochenende auf dem Parteitag nun offiziell hinter seine Koalitionsaussage für die Union stellen.
Eine wichtige Vorentscheidung macht Kinkel das Leben leicht: Rivale Jürgen Möllemann verzichtete nach monatelangem Taktieren auf eine Kandidatur für den freiwerdenden Platz im Präsidium. Der Chef des mitgliederstärksten Landesverbandes NRW besaß nicht mehr den Hauch einer Chance. Für seine Opposition gegen die vorzeitige Koalitionsaussage hatte ihn nach Intervention Kinkels sogar der eigene Landesverband abgestraft.
Auch ohne Möllemann bleibt die Wahl der Präsidiums-NachfolgerIn der wegen der „Figaro-Affäre“ zurückgetretenen Berliner FDP-Chefin Carola von Braun die wichtigste Personalentscheidung von Rostock. „Alle warten auf eine Frau aus den neuen Ländern“, heißt es bei den Liberalen. Gefunden ist bislang aber noch keine.
Rund zehn Kandidatinnen und Kandidaten werden gehandelt, darunter der Wehrexperte Jürgen Koppelin und der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Die meisten Chancen aber werden der Bonner Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen eingeräumt.
Zwar hat der Landesverband NRW sich demonstrativ hinter Schmalz-Jacobsen gestellt, die mit der Ausländerpolitik der Union im stillen Streit liegt. Eine wirkliche Gegenmacht zu Kinkels Schmusekurs gegenüber Helmut Kohl ist trotzdem nirgendwo erkennbar. Sozial- und Linksliberale sind in der Partei gegenwärtig abgemeldet.
Einen der wenigen letzten Prototypen des linksliberalen Auslaufmodells stellten NRW-Delegierte kalt: Sie verweigerten dem 61jährigen Gerhart Baum einen guten Listenplatz für die Bundestagswahl. Der Bundestagsabgeordnete und ausgewiesene Linksliberale Wolfgang Lüder hatte schon zuvor enttäuscht auf eine erneute Kandidatur im Landesverband Berlin verzichtet.
Um ein Profil als Wahrer liberaler Rechtskultur bemühen sich in der Partei nur noch Einzelgänger und die wenig einflußreichen Jungliberalen (Julis). Ohne erkennbaren Schaden überstand die FDP- Führung sogar die peinliche Programm-Festschreibung als „Partei der Besserverdienenden“. Das Programm soll in Rostock verabschiedet werden. Weil die Wahrheit ungeschminkt doch zu häßlich scheint, wurde die Aussage eine Woche später relativiert. Jetzt soll es nicht mehr der Kontostand entscheiden, sondern angeblich die „liberale Grundhaltung“.
Tatsächlich würde der im Programm vorgesehene Umbau des Sozialstaates die Republik verändern: Die Sozialhilfe wird zurückgeschraubt, die Einstiegslöhne sinken, Spitzenverdiener aber werden weiter steuerlich entlastet. O-Ton Kinkel: „Wir sind die Wirtschaftspartei“.
Unbeeindruckt von mehr als vier Millionen Arbeitslosen und zwei Millionen Wohnungssuchenden begründet der Parteichef, warum die FDP den Wirtschaftsdarwinisten unter ihren Wählern die vielen Sozialneider vom Leib halten will: „Diejenigen, die intelligenter, fleißiger, risikofreudiger und leistungsfähiger sind, sollen mehr verdienen und sich dessen nicht schämen.“
Kein Mensch erwartet, daß die Koalitionsaussage in Rostock widerrufen wird. Aber einige Delegierte wollen wenigstens inhaltliche Bedingungen an einen solchen Parteitagsbeschluß knüpfen, die einen Ansatz von liberalem Profil zeigen. Die frühe und bedingungslose Festlegung zugunsten der Union halten sie unter dem Gesichtspunkt der Koalitionstaktik für verheerend: Eine Einladung an die Christen, den kleineren am Nasenring zu führen.
Die wenigen internen Kritiker, die spätestens am Sonntag wieder in Harmonie machen müssen, stören nicht nur Kinkels Aufräummethoden und die Verknüpfung des Parteierfolgs mit seiner Person. Sie plagt auch die Sorge, daß Nicht-Makler und Nicht-Zahnärzte momentan kaum gute Gründe sehen dürften, die FDP zu wählen. Trotz des Umfragehochs für die Koalition: ob die Liberalen bei den Euro-Wahlen am 12. Juni die Fünfprozenthürde erreichen, bleibt fraglich.
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