: Hingenommene Gewalt -betr.: "Eine ganz normale Abschiebung", taz vom 21.5.94
Betr.: “Eine ganz normale Abschiebung“, 21.5.94
Der Umstand, daß einer 26-jährigen Polin, die von sich aus die Ausländerbehörde aufsucht, die Hände auf den Rücken gefesselt werden, sie in diesem Zustand nur noch zum Gepäckholen nach Hause gebracht wird, wo ihre Kinder sie so sehen müssen, um dann weinend zum Flugzeug transportiert zu werden, demonstriert bestens den Zustand von alltäglicher Gewalt, der auch von der linken Szene oftmals hingenommen wird. Wahren Opfern zu helfen, ist oft schwieriger als eingebildeten, da letztere oft lauter schreien (dies speziell auch an die feministischen Kreise gerichtet).
All die Etablierten, die sich immerhin zu Ausländerhatz durch Angehörige der Normalbevölkerung kritisch äußern, sind fast nie zu hören, wenn es um die erniedrigende, jede Menschenwürde außer acht lassende, tägliche Praxis von Polizei und Abschiebungsbehörde geht. Eine Fesselung - speziell einer schwächeren und offensichtlich nicht gewalttätigen Person - ist in meinen Augen einer Vergewaltigung fast gleichzusetzen (die Angst mag bei denjenigen, die trotz allem an einen Rechtsstaat glauben, etwas geringer sein). Der gefesselte Mensch fühlt sich subjektiv nur noch als Objekt und wird von anderen so gesehen. Was muß in Polizisten und Polizistinnen, die so etwas vollziehen, vorgehen? Will mir jemand weismachen, solche Staatsdiener hätten im Dritten Reich anläßlich von Judenverfolgungen etc. „Nein“ gesagt?
Die Praxis, zwecks Einschüchterung zu fesseln, hat seit Jahren, wie ich vor allem auf Demonstrationen (natürlich linken) beobachten mußte, zugenommen. Ich kann darüber nur Ekel empfinden und möchte dies einmal zum Ausdruck bringen.
Was soll dies hohle Gerede von Menschenwürde, Würde der Frau etc.? Solche Abschiebungsaktionen passieren Männern und Frauen, deren einziges Verbrechen es ist, nicht den richtigen Paß zu haben und die sich nicht wehren können, täglich von seiten der Erben des Dritten Reichs und der Nachkriegsgewinnler. Wo sind Mitgefühl und Achtung des/der Schwächeren? Ich sehe nur Schäferhundtugenden, und Emanzipation scheint darin zu bestehen, daß jetzt auch weibliche Exemplare durchs Revier ziehen.
Wieso wird über soviele andere Arten von Gewalt soviel gesprochen, wieso nicht hierüber? Was ist der Grund für diese Tabuisierung? Von seiten der Opfer verstehe ich die Scheu, über die beschämende Erniedrigung zu sprechen, aber von seiten der Gaffer?
R. Asche
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