: Die Freunde des Toubabs
Gambia – Afrika für Einsteiger, alternativ oder normal touristisch ■ Von Axel Hannemann
„Hello my friend, how are you?“ Eine große schwarze Hand umschließt die deine, hält sie fest. Zwei große dunkle Augen schauen dich erwartungsvoll an. Woher kommst du? Wie lange bleibst du? Wie heißt du? Wo wohnst du? Was machst du? Das, was der blaßhäutige Pauschaltourist nach ersten Gehversuchen am Strand von Gambia erfährt, ist die verkürzte, weil für Europäer, gambische Begrüßungszeremonie.
Der neue Freund läßt dich dann wissen, daß er zufällig Imbißbesitzer, der Bruder Postkartenverkäufer, der Cousin Schmuckverkäufer, dessen Bruder Reiseführer und die Schwester Obstverkäuferin ist. Falls der Toubab (Wolof-Ausdruck für Fremder oder Weißer) kein Interesse hat, gar stur oder unfreundlich ist, na bitte, dann eben nicht. Schließlich ist Gambia nicht Marokko, Ägypten oder Kenia. Der Kaufunwillige wird weder bedrängt, beschimpft oder bespuckt. Freunde sind zu Freunden eben freundlich. Aber, da sei sicher, zehn Meter weiter wartet der nächste Hello my friend-Postkarten-Schmuck-Obst- Verkäufer. Verständlich, wenn man weiß, daß die Zeche für ein Zwei-Personen-Touristen-Essen jederzeit eine vierköpfige gambische Familie einen ganzen Monat ernähren kann. Toubabs sind also unermeßlich reich, egal wieviel Miete sie zu Hause zahlen, das neue Auto kostet oder die Steuer verschlingt.
Gambia – offiziell The Gambia – ist wie viele afrikanische Staaten eine Erfindung der Kolonialisten, ein wurmähnliches Gebilde, umschlossen von Senegal. Obwohl das kleinste Land Afrikas, ist The Gambia ein Vielvölkerstaat. Mandingo, Wolof, Fulbe und Djola und acht andere Ethnien leben hier überaus friedlich nach der moderaten Form des Islam in Großfamilien. Man heiratet gern und viel untereinander. Pro Familie bis zu vier Frauen und bis zu dreißig Kinder sind der Stolz der Familienchefs, wohlgemerkt der reichen. Die Mitgift, je nach Stand und Ausbildung, liegt zwischen zwei Ziegen und einem 300er Mercedes Coupé. Kein Wunder, daß sich Gambias Bevölkerung von inzwischen einer Million Menschen alle zehn Jahre verdoppelt.
Helmut Kohl ist ein Bumpster
Wie Perlen auf einer Schnur sind die Hotels an der Kombo-St.-Mary-Area aufgereiht, zwei Dutzend auf zehn Kilometer, vom Fünf-Sterne-„Kairaba“ (200 Mark pro Nacht, das Doppelzimmer inklusive Animation) bis zum Kololi Beach Bungalow (40 Mark die Nacht mit Frühstück). Etwa 100.000 Übernachtungen jährlich, 60 Prozent Engländer, sonst Deutsche und Skandinavier, verzeichnet Gambias Tourismus. Aber das Geschäft ist mau. Sonderangebote für Engländer sind echtes Dumping: 150 englische Pfund für Flug plus eine Woche Übernachtung plus Frühstück. Deutsche zahlen da schon mindestens 800 Mark für dasselbe Angebot, natürlich außerhalb der Saison. Angenehm für den gestreßten Touristen: Der Strand liegt nicht unterm Pflaster, sondern direkt vor der Haustür. Und dort trifft man, wie wir wissen, Einheimische. „Hello, ich bin Helmut Kohl. Hitler war ein schlechter Mensch. In Deutschland is viel Streß, aber Gambia is echt cool, ey mon. Relax!!!“ Der junge Mann, Anfang Zwanzig, braune Haut, Rastalöckchen und Bob Marley auf dem T-Shirt, der den Toubab überrascht, ist ein typischer bumpster oder chingster, eine Art Aufreißer oder Gigolo. Für deutsche Touris ein Helmut Kohl, für Engländer sicher Prince Charles, für die Schweden vielleicht ein Olof Palme. Anmache – originell und freundlich – ist oft der Anfang einer wunderbaren Liaison. Denn: White girls like black boys. Sextourismus für Frauen entstand Anfang der siebziger Jahre, als Schwedinnen auf der Suche nach dem „Feuer von Afrika“ immer öfter in Gambia landeten. „Ein armseliges Feuer“ wie Nadia, die italienische Reiseleiterin, meint, sie lebt seit zehn Jahren in Gambia, ist verheiratet mit einem Inder: „Für drei Wochen reicht es vielleicht.“ Mehr wollen die meisten Bumpsters schon, im Spiel der Geschlechter ist der Hauptgewinn für sie die Heirat mit einer Deutschen oder Schwedin, Engländerinnen sind wohl zu prüde. Altersunterschiede bis zu dreißig oder vierzig Jahren spielen scheinbar keine große Rolle. Schließlich heiraten auch einheimische Greise noch zwanzigjährige Mädchen. Nicht die romantische Liebe, sondern die materielle Absicherung ist die Basis.
Diese Art der Begegnung zwischen zwei Kulturen ist in der Regel nicht von Dauer. Und so lauert mancher Bumpster nach seinem ersten Deutschland-Trip auf die zweite Chance. Auch die männlichen Toubabs finden leicht ihre „Freundin“ für die Nacht, für den Tag oder für eine Woche, niemand will da von Prostitution sprechen. Aber an Heirat denken die gambischen Frauen kaum. Sie müssen, wenn sie den vom Familienclan zugewiesenen Gatten verlassen, zusehen, wie sie sich selbst ernähren. Die Begegnung mit den Toubabs ist eine Notlösung. Die Anti-Aids-Kampagne der Regierung deutet es an: In Gambia wird die moderate Form des Islam gelebt.
Helmut wird Mandingo
Für Helmut, einen Frührentner aus Göttingen, ist sein Hotel im Touristenghetto nur Zwischenstation. Auf dem Weg zu seiner neuen Familie im Busch benutzt er kein Touristtaxi (Preis: 120 Dalasi = 25 Mark), auch kein Normaltaxi (20 Dalasi), sondern er fährt, wie landesüblich, mit dem Sammeltaxi (2 Dalasi).
Helmuts Tochter hatte letztes Jahr in Göttingen einen gambischen Studenten geheiratet. „Rabenschwarz, das war vielleicht eine Überraschung!“ Aber Helmut versteht sich inzwischen prächtig mit seinem Schwiegersohn.
Als er eine Woche später von dem Compound der Großfamilie zurückkommt, ist er gerührt. Mitten im Busch, in einer Bambushütte, zusammen mit der dreißigköpfigen Sippe, Tag und Nacht zusammen. Er ist nicht nur freundlich aufgenommen worden, sondern Helmut ist, nach einer alten Stammeszeremonie, jetzt Mandingo, seine weiße Hautfarbe stört da nicht weiter. „Wenn die jetzt eine Entscheidung treffen wollen, rufen die mich in Göttingen an. Ich gehöre jetzt zu den Familienältesten, und die müssen gefragt werden.“
Helmut ist gerührt und beschämt zugleich, weiß er doch, daß sein Schwiegersohn in Deutschland verprügelt wurde, weil er Ausländer ist. Kein Wunder, daß Helmut da lieber Mandingo wird.
Hauptreisezeit ist Oktober bis Mai, bei Temperaturen von 27 Grad Luft und 22 Grad Wasser fällt kein Regen, Wolken gibt es nur in der Übergangszeit. Eine kühle Brise weht am Strand. Die meisten der jährlich 100.000 Touristen bleiben am Strand, manche barbusig und mit geröteten Backen, nur von einem Tangastring bedeckt. Begeistert von so viel Fleisch sind die Einheimischen nicht. Die meisten Toubabs sind leider unwissend, was die islamischen Sitten betrifft, aber Freunden gegenüber ist man in Gambia eben freundlich.
Nur ein Zehntel der Fremden macht sich die Mühe, in das Landesinnere zu reisen. So sehen sie nicht die endlosen Mangrovensümpfe, die das Flußdelta umsäumen. Sie kommen nicht nach Lamin Lodge, einem Pfahlbaurestaurant, wo Peter aus Deutschland mit seiner gambischen Bootscrew Fahrten zum 250 Kilometer entfernten Georgetown, dem ehemaligen Sklavenzentrum (Kunta Kinte läßt grüßen), durchführt. 400 Vogelarten, Krokodile und Schlangen leben an und in dem Fluß, The Gambian River. Er ist die Lebensader des Landes. Banjul (50.000 EinwohnerInnen), die sterbende Hauptstadt im Kolonialstil, oder Serekunda (250.000 EinwohnerInnen), Verkehrszentrum und verslumte Bretterbudenstadt, werden selten und dann nur busseweise von PauschaltouristInnen besucht. Einheimische Restaurants haben es schwer. Die meisten Toubabs vertrauen lieber dem international eingeführten Pfeffersteak, das wie die meisten Touristenlebensmittel aus Europa importiert wird. Chicken Yassa, ein in Zitronensaft und Knoblauch mariniertes Hähnchen, oder Domodah, geschmortes Rindfleisch in Erdnußsauce, bleiben dem Toubab meist fremd.
Mögen Sie es sanft, alternativ oder weiblich?
Gambia, das ist Tourismus im großen Stil, wäre da nicht am Rande ein kleines, abgelegenes Hotel, das allen Versuchungen trotzt und die wahre Begegnung zwischen Schwarz und Weiß, sanft und alternativ verspricht: das Boucarabou-Hotel.
Ein Projekt von Deutschen und Gambiern für Europäer, abgelegen von der Touristenmeile, der Strand nur durch einen 20minütigen „sanften“, aber schweißtreibenden Fußmarsch zu erreichen, ökologisch bewußt mit Solarenergie ausgestattet, Bungalows aus naturbelassenen Steinen (der Gast darf selbst fegen, wenn er mag): Hier kann die „echte“ Begegnung stattfinden.
Im Programm: Frauen treffen Frauen, Töpfern im fernen Busch, Wassermusik – eine dreitägige Bootstour mit einem echten afrikanischen Griot (singender Geschichtenerzähler), der Reiseleiter erzählt, des besseren Verständnisses wegen, afrikanische Märchen auf deutsch.
Abschalten vom Alltag, sich vorsichtig auf einen neuen Kontinent, eine neue Welt einlassen, esoterisch, ökologisch oder musikalisch – auch Trommelworkshops sind im Programm. Nicht gerade billig, aber – wie die Ökomöhre – sehr alternativ. Und abends die Begegnung mit den Einheimischen aus dem Dorf: Wie heißt du? Woher kommst du? Wie lange bleibst du? Relax, ey mon! Gambia is no streß!! (Irgendwelche Ähnlichkeiten sind rein zufällig.) Wenn Awa, die Geschäftsführerin, nach einem Besuch bei Cool Running Tours, dem Reiseveranstalter in Berlin-Schöneberg, nach Kerr Sering zurückkommt, hat sie die hohen Häuser und das kalte Wetter noch gut in Erinnerung. Heiraten? Nein danke! Die weißen Toubabs sind schon ziemlich reich, aber so richtig lachen und tanzen können die nicht. Aber das erzählt sie den Toubabs natürlich nicht, denn Freunde sind zu Freunden immer freundlich, jedenfalls in Gambia.
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