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Beigefarbenes Ensemble

■ Die Ost-Modezeitschrift "Sibylle" ist nun in der Hand ihrer Macherinnen

„Sibylle ist jetzt wirklich einzigartig: die einzige Zeitschrift für Frauen, die von der Redaktion in Eigenregie übernommen wurde; die einzige Zeitschrift für Mode und Kultur überhaupt; die einzige Zeitschrift für Frauen, die aus Berlin kommt“, schreibt Chefredakteurin Susanne Stein im Editorial des Juni-Heftes an die „lieben Leserinnen und Leser“. Ungefähr 100.000 sollen das momentan sein, nicht schlecht für eine ehemalige DDR-Zeitschrift und erst recht beachtlich nach dem Schlingerkurs, den die kurz nach der Wende vom Gong-Verlag übernommene Illustrierte durchgemacht hat.

Bis 1991 erschien das für seine exquisiten Fotos und anspruchsvollen Texte bekannte Magazin zweimonatlich, 1992 dann nur noch zweimal im ganzen Jahr, 1993 wieder zweimonatlich und seit Januar 1994 monatlich.

Ebenso ratlos wie an der Erscheinungsweise laborierte der süddeutsche Verlag am Konzept der ehemals ostdeutschen Zeitschrift. „Frisuren und Diäten“ forderten die Gong-Strategen aus Nürnberg und maulten an den Geschichten über Architektinnen oder „tote Künstlerinnen“: „Das verkauft sich nicht.“

Als sich im Frühjahr dieses Jahres wieder Veränderungen anbahnten, reichte es den Macherinnen in Berlin. Susanne Stein und Regine Conrad, nach der Wende dazugekommene Westfrauen, und Lisa Schädlich und Erika Büttner, langjährige Ostredakteurinnen, bewarben sich telefonisch beim Gong-Verlag um den Kauf ihres Blattes. In Nürnberg dachte man nicht lange nach. Zum symbolischen Preis von einer Mark gingen die Titelrechte der seit 1956 erscheinenden Zeitschrift an das west-östliche Frauenquartett.

Die Ikea-Möblierung der Redaktionsräume an der Köpenicker Straße handelte Susanne Stein dem Verlag ab, die wenigen Geräte ließ man dem Team zu einem günstigen Preis. Anzeigenakquise und Vertrieb blieben beim Gong- Verlag. Mit Hilfe der Finanzexpertin Marlene Kück und ihrer Bürgschaftsbank wurde ein Finanzierungskonzept für den „Sibylle Verlag GmbH“ erarbeitet, die Spitzengehälter wurden gesenkt. Noch schreibt die Zeitschrift rote Zahlen, aber in einem Jahr, so ist Chefredakteurin, Geschäftsführerin und Gesellschafterin Susanne Stein zuversichtlich, wird es geschafft sein. Sie hofft, alle Leserinnen aus dem Osten zurückzugewinnen und noch mehr aus dem Westen dazu.

Über 200.000 war die Auflage der Sibylle in der DDR und immer vergriffen. „Bückware“, so die damalige Kulturchefin Erika Büttner. Das Glück eines Abos folgte nur einem Unglück: Wenn jemand starb. Am Markt waren vier Frauenzeitungen: Die Handarbeitsblätter Pramo (Praktische Mode) und Guter Rat, die eher politische Für Dich und die künstlerische Sibylle. Wer in der DDR einen Namen hatte, fotografierte für die Sibylle – vor allem Fotografen, aber auch Literaten, Kunstkritiker und Journalisten. Mit dem Ruch des Trivialen hatte man im Osten nicht zu kämpfen. Mode galt „als ein Stück Kultur, die Fähigkeit des Individuums, sich nach außen darzustellen“, so Büttner. Wer sich nicht für die Klamotten interessierte, überblätterte die Schnittmuster einfach oder sah sie unter fotokünstlerischen Gesichtspunkten, denn neben dem „Magazin“ (mit je einer Nacktaufnahme pro Ausgabe) gab der DDR-Markt sonst nichts her.

Die der DDR-Sibylle eigene „epische Breite“ in Form und Inhalt soll auch die tragende Säule des neuen Konzeptes sein. Aus den langen Diskussionen und halbherzigen Heften der letzten Jahre haben die Macherinnen für sich die Erkenntnis gezogen, auf Profilierung statt Anpassung zu setzen. „Wir haben uns immer als Nische empfunden“, sagt Erika Büttner über die DDR-Jahre, „wir gehen in eine Nische“, so Susanne Stein über den Platz auf dem BRD- Markt. Mit „langen Bildstrecken und lyrischer Erzählweise“ sollen all jene angesprochen werden, „die von Frauenzeitschriften die Nase voll haben“, die „selbstbewußt sind und sich dabei schön machen wollen“, ohne einem Typdiktat zu folgen. Vor allem aus den neuen Bundesländern gebe es viele positive Reaktionen, „endlich eine erwachsene Ansprache“. Eines aber darf man von der Sibylle nicht erwarten: Feminismus. Den finden die West- wie die Ostfrauen in der Redaktion abscheulich: „Wir sind keine Emanzen.“

Fotos werden weiter in erster Linie von Ute und Werner Mahler kommen, die mit ihrer elegischen Bildsprache seit vielen Jahren der Zeitschrift ihr Gesicht geben. Typisches Merkmal der Mahler-Models: Sie lachen nie. Ihre Bilder erzählen immer auch Geschichten von Landschaften, Städten oder Räumen, oft in Schwarzweiß, coloriert, getont oder in morbiden Farbtönen. Das bunte Happiness der Werbeseiten knallt in diesem Umfeld besonders hervor. Anzeigen aber braucht auch die Sibylle. Beim Preis von 4,90 Mark ist sie noch vergleichsweise dünn. Nur langsam legt sich das Vorurteil der Mode- und Kosmetikproduzenten gegen das ehemalige Ostprodukt. Aber auch die Modemacher zeigten sich anfangs an der anvisierten Zielgruppe nicht interessiert. Oft genug schickten sie den Redakteurinnen die angeforderten Klamotten gar nicht erst zu.

„Die Macht der Farben“, „Sommer in Berlin“ und „Die große Liebe“ sind die Titelthemen des Juni-Heftes – vieles scheint schon mal dagewesen. Einem Bericht über Leander Haußmann und das Scheunenviertel in Berlin folgen auf acht Seiten Liebesgedichte und romantische Fotos von Paaren, Porträts über Ulrich Wildgruber, Margaret Atwood, Frida Kahlo und Berichte über Tanz, Farben und Nivea-Creme. Auch die Texte unter den Modefotos sind wie gehabt: „Schmusig und sanft. Das beigefarbene Ensemble aus Viskosestrick mit hautnahem Strick und Trompetenhose verblüfft mit kleinen, verspielten Volants“. Immerhin: Die Frau auf den wirklich schönen Bildern hat ein Gesicht und wäre anderen Zeitschriften als Model viel zu alt.

Für Erika Büttner ist der Wechsel vom Gong-Verlag in die Unabhängigkeit nicht annähernd mit den Veränderungen des Jahres 1989 zu vergleichen. Seit Anfang der 80er war sie Kulturchefin bei Sibylle. Nach der Wende schickte die Redaktion die vom Nomenklaturkader des ZK eingesetzte Chefredakteurin in die Wüste und machte Büttner zur Interims-Chefin. Bleiben wollte sie in dieser Funktion aber nicht, „weil ich die Welt nicht im Griff habe“. Sie weiß nicht, wie sie das zusammenbringen soll, „vorne Armani und hinten Obdachlose oder die Elle-Aktion gegen Kindesmißbrauch mit Joop“. Im Kosmetik-Ressort ging die gestandene DDR-Kulturredakteurin ins Exil. Daniela Reinsch

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