: Atem geformt, Goethen belebt
■ Kampnagel: Das „Ensemble Penthesilea“ präsentiert Goethes „Iphigenie auf Tauris“
Man muß es selbst hören, wie das Ensemble Penthesilea Goethes Iphigenie auf Tauris spricht. Die hohe, berühmt-berüchtigte Form des Stückes stellen sie her, und doch klingt das nicht künstlich. In großer Genauigkeit folgen sie dem verschlungenen Fluß dieser Sprache, nehmen ihr zugleich jede Schwere, und es ist, als würden diese doch eigentlich zu Tode philogisierten und deklamierten Verse zum ersten Male gesprochen.
Von der Sprache her nähert sich das Ensemble unter der Leitung von Gerhard Kaminski dem Kontinent Goethe. Es beginnt wie eine Leseprobe. Fünf Menschen sitzen mit Textbüchern am Tisch. Eine von ihnen, Adelheid Arndt, steht auf und spricht, zögerlich und prüfend erst, den Eingangsmonolog der Iphigenie. Die anderen hören zu, bis auch sie sich allmählich von der Sprache in die Rollen tragen lassen. Und schließlich wollen sie mehr, als Goethes Sprachkunstwerk bloß zu interpretieren. Sie wollen seine Präsenz erreichen, seinen Atem formen.
Fast scheint es, als wolle die Truppe zu jenem Nullpunkt Goethescher Sprache vordringen, an dem die Verse, Sprachbild an Sprachbild reihend, im Moment des Entstehens vorwärtsdrängen. „Das gedruckte Wort ist freilich nur ein matter Widerschein von dem Leben, das in mir bei der Erfindung rege war“, schrieb der alte Goethe rückblickend über sein Stück. Dieses Leben in dem Text wieder aufzufinden und erlebbar zu machen, ist der Anspruch des Ensembles Penthesilea.
Ist das gelungen? Daß eine Aufführung einen Text zum Leben erweckt, ist nun zwar eine gern gebrauchte Floskel. Real bleibt es doch Illusion. Aber es gibt sehr produktive Illusionen, und der Ansatz dieser Aufführung ist ganz sicher eine davon. Wie die Genauigkeit, der Reichtum und die Musikalität dieser Sprache verständlich werden, findet in der Hamburger Theaterszene kaum eine Entsprechung. Und dieses Verständnis schlägt stellenweise in pures Erstaunen um: Kaum zu glauben, daß Menschen heute diesen alten Text so sprechen können, wie etwa Thomas S. Ott als Orest oder Manfred Andrae als Thoas das tun.
Allerdings ist das Unternehmen fast zu genau gedacht und zu perfekt ausgeführt, um noch in eine Theateraufführung zu passen. Man möchte als Zuschauer den Atem anhalten, um nur ja nicht zu stören. Aber das ist nichts anderes als die Rückseite des Ernstes, mit dem sich das Ensemble diesem Stück zugewandt hat. Dirk Knipphals
weitere Aufführungen: 8. bis 18. Juni, Kampnagelhalle 1, 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen