: Die allerbeste Pilzecke in der Gegend
■ Der Boden im Landkreis Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern ist verseucht von einer Giftmülldeponie und einer ehemaligen Munitionsfabrik. Wie soll mit den Altlasten umgegangen werden, wo alle beteuern..
Der Boden im Landkreis Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern ist verseucht von einer Giftmülldeponie und einer ehemaligen Munitionsfabrik. Wie soll mit den Altlasten umgegangen werden, wo alle beteuern, kein Geld zu haben?
Die allerbeste Pilzecke in der Gegend
„Solange ich den Boden nicht oral aufnehme, passiert da nichts“, sagt Landrat Rainer Haedrich (CDU) energisch. Er hofft, daß die 15.000 BewohnerInnen seines Landkreises in Mecklenburg-Vorpommern sich daran halten. In der Nähe von Pasewalk ist der Boden verseucht. An einer Stelle wurden 85.500 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm Erde gemessen – bereits einzelne Moleküle des Sevesogifts sind gefährlich.
Landrat Haedrich ist ob der vielen Fragerei blaß um die Nase. Denn inmitten all der scheinbar unberührten Natur um Pasewalk herum finden sich gleich zwei giftverseuchte Orte: die ehemalige Sondermülldeponie bei Waldeshöhe und das 400 Hektar große Gelände der früheren Heeresmunitionsanlage bei Löcknitz.
Unter der Sondermülldeponie liegt ein 180.000 Liter großer Ölsee, der auf Höhe des Grundwasserspiegels hohe Dioxinwerte aufweist. Auf dem Gelände der „Muna Löcknitz“ (wie die ehemalige Heeresmunitionsanstalt hier heißt) ist die höchste Dioxinkonzentration gemessen und außerdem Arsen festgestellt worden. „50 Jahre lang hat sich keiner drum gekümmert, nun haben wir uns dafür interessiert und werden verantwortlich gemacht“, seufzt Landrat Haedrich.
Auf dem „Umwelttag Pasewalk“ läuft er mit seinem Jacketkronenlächeln herum. Ein Foto vom „Rostbindenfalter an einer Ackerdistel“ zieht mehr BesucherInnen an als die Informationstafeln des Umweltamtes über das Gift im Boden. „Man kennt halt das Problem“, sagt Norbert Hildebrandt, Sachbearbeiter für Altlasten beim Umweltamt Pasewalk. Landrat Haedrich denkt an die DDR-Zeit: „Wer so lange nichts sagen durfte, der gewöhnt sich dran.“
Als die Deponie 1987 dichtgemacht wurde, wurde sie mit Erde zugeschoben – der Giftmüll blieb verdeckt und unscheinbar. Sachbearbeiter Hildebrandt freut sich, die Altlast endlich angehen zu können. Er war hartnäckig geblieben, als das erste Gutachten noch so ausfiel, „daß man es hätte liegenlassen können“. Als ein neues Gutachten 1992 seinen Verdacht erhärtete, sagte er zu seinem Kollegen: „Mensch, Eberhard, das wird schlimmer als Schönberg.“
Im Jahr danach holte das Umweltamt „schon mal 500 Liter Öl raus“, das in einer Sondermüllanlage landete. Hildebrandt schüttelt sich noch heute beim Gedanken daran. „Dioxin ist fettlöslich, wenn man damit in Berührung kommt, geht das sofort durch die Haut.“
Historische Recherchen ergaben, daß man zu DDR-Zeiten an „eine riesige Tonschale in der Erdschicht“ glaubte, die alles auffangen würde. So kippte man zwischen 1970 und 1987 etwa 50.000 Kubikmeter flüssige Industrieabfälle in die Kiesgrube. Einmal wurden außerdem 260 Tonnen Pflanzenschutzmittel dazugeschüttet. Davon haben die GutachterInnen heute kaum noch etwas gefunden. Das DDT und die PCBs sind schon in die Nahrungskette gewandert. Die Ölschicht schwimmt bis zu 75 Zentimeter dick auf einer Fläche von 4.000 Kubikmetern auf dem Grundwasser. Neben den extrem hohen Belastungen an Chlorkohlenwasserstoffen und PCB ist auch das Seveso-Dioxin 2,3,7,8-TCDD mit 2,45 Nanogramm/Kilogramm gemessen worden. Die Gifte sind bis in 60 Meter Tiefe nachgewiesen. „Manchmal stinkt's dort im Sommer. Nach Lösungsmitteln, Pflanzenschutzmitteln – nach Chemie eben“, sagt Hildebrandt.
In der Wiesensenke liegen drei Öltonnen rum, aus dem Gras lugt an einigen Stellen ein bißchen Müll hervor. Von den Warnschildern am Weidezaun existieren nur noch die Nägel. Das Dorf liegt zwei Kilometer entfernt. Ein Bewohner findet es ein „bißchen unangenehm“, daß sein Wasser aus der Gegend stammt.
Die Gesamtsanierung der Deponie würde an die 57 Millionen Mark kosten. Bei diesem Thema zuckt Landrat Haedrich zusammen. Wer die Kosten der gesamten Giftbeseitigung tragen soll, darüber streiten derzeit Mecklenburg- Vorpommern und die Bundesregierung. „Nur für den Notfall“ hat Bundesumweltminister Klaus Töpfer Hilfe zugesagt, ansonsten sei das Land zuständig.
Kampfgifte, Dioxin, Arsen, und keiner will zahlen
Der Kreis hat bereits Geld vorgeschossen: „Aber ich habe immer versprochen, daß wir das wiederkriegen“, sagt Haedrich und muntert sich selbst auf. Mit der Treuhand stehe man in Verhandlung. Ihr gehört das Land.
Rund 800.000 Mark hat der Landkreis für die Untersuchungen bisher ausgegeben. Die 400 Hektar große Fläche zwischen den Dörfern Rothenklemepenow, Boock und Mewegen ist mit einem Drahtzaun und Warnschildern gesichert. 102 Bunker sind hier 1945 von der sowjetischen Armee gesprengt worden. Die Nationalsozialisten hatten auf dem Gelände Munition hergestellt. In einer „Kampfstoffabfüllanlage“ wurden etwa 3.000 Tonnen Clark gelagert. Hinter dem Namen verbirgt sich das Kampfgas Lost. „Wenn Sie damit in Berührung kommen, ersticken Sie regelrecht, die Luftröhre wird zerfressen“, sagt Klaus Krüger, Feuerwerker bei der Firma, die sich um die Rüstungsaltlast kümmert. Er lacht.
Die Gegend galt als beste Pilzecke weit und breit. „Vielleicht ist manchen Leuten ein bißchen schlecht geworden.“ Mit Schleimhautreizungen mußten im April 1992 Arbeiter ins Krankenhaus eingeliefert werden, die Löcher für Zaunpfähle ausgehoben hatten. Aber auch das bringt heute niemanden mehr aus der Fassung. An Wachdienste ist nicht zu denken – „bei den Preisen“.
Von der Kampfstoffabfüllanlage führte eine Abwasserleitung in den zwei Kilometer entfernten Regowsee. Er ist versandet, aber die Leitung liegt noch unter dem Acker, auf dem der Wind durch das Getreide fegt. Ob die Leitung noch dicht sei, das habe man allerdings nicht untersuchen können. Aber am See rieche es faul, „und auf der Zunge hat man einen Geschmack, wie wenn man auf Eisen gelutscht hätte“.
Mit einer Gartenteich-Abdeckfolie („UV-beständig“) sind die 150 Quadratmeter abgedeckt, wo man die höchste Dioxinbelastung fand. „Wenn der Wind das nicht hochreißt, kann ja nichts passieren“, meint Krüger. Seit zwei Jahren dürfen keine Kühe mehr neben der kontaminierten Stelle weiden. Alte Treckerreifen beschweren die Plane, nur das Schild „Lebensgefahr, Kontaminiertes Gelände, Betreten verboten“ stört die Idylle. Vivianne Agena
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen