: Bonsai-Balladen
■ Radiosender manipulieren den Sound von Popsongs
Klaus S. hatte nur einen Musikwunsch: „Die da“. Doch statt der „Fantastischen 4“ hörte er plötzlich „diese komischen Mickymaus- Stimmen“. Sein Radiosender spielte den Song 15 Prozent schneller – wegen der „Dynamik“.
Immer öfter basteln sich private Radios ihren eigenen Sound zurecht. Die Zahl der Titel sinkt drastisch, zudem werden sie kürzer und softer: Eros Ramazottis elfminütiger Hit „Musica e“ gerät zur 3,15-min-Bonsai-Ballade. Per Equalizer und DAT-Schnittpult lassen sich launige Gitarrensolis wegfiltern, wilde Schlagzeuge in Höhen und Tiefen „abtopfen“.
„Das ist so, als ob ich die blaue Farbe aus einem Picasso-Bild nehme, weil die nicht zum Sofa paßt“, erklärt Bernd Weiß von Sony Music. Dieses Vorgehen verstoße zwar gegen das Urheberrecht und jede Idee von der Freiheit der Kunst, meint Polydor-Promoterin Rosita Falke, aber damit ihre Stücke überhaupt gespielt würden, „decken die Plattenfirmen den Mantel des Schweigens drüber“. Dabei setzen die Zwänge der Privatradios die Musikindustrie immer mehr unter Druck. „Neue Gruppen, besonders deutsche, haben es im Radio sehr schwer“, sagt Rosita Falke. Kreative Newcomer sind das Kapital der trendbewußten Branche. Bei den Sendern zählt jedoch nur das Bewährte. Seit RTL Radio vor einem Jahr auf Oldies der fünfziger bis siebziger Jahre umsattelte, stiegen die Hörerzahlen deutlich an – in Bayern etwa um 154 Prozent.
Die angenehm „durchhörbaren“ Musikkulissen für Dauer- Hörer gefallen aber der Musikbranche überhaupt nicht: „Das geht links rein und rechts wieder raus“, schimpft Falke. Weil solche Songs nicht weiter auffallen, fehlt auch der Kaufimpuls. Bands wie die „Fantastischen 4“ oder die „4 Non Blondes“ markieren bei vielen Sendern schon die Toleranzgrenze. Musikrichtungen wie House, Hard Rock oder deutscher Pop fallen gleich ganz flach.
Die Radios sind indes zufrieden. Für drei von vier Hörern ist Musik der wichtigste Einschaltgrund. Daher tun die Stationen alles, um auf dem enger gewordenen Markt ihre „Klangfarbe“ zum wiedererkennbaren Markenzeichen zu machen. Während sich 1985 nur 45 Stationen im Äther tummelten, sind es heute bereits 230. Da ist es vorbei mit dem „Baugefühl“ des Musikredakteurs. Längst bestimmt Kollege Computer die Klangfarbe des Programms.
Bei Radio FFH sind auf der Datenbank 3.500 Titel etwa nach Stimmung, Tempo oder Stil gespeichert. Der Moderator erhält nur noch die nach Tageszeit sortierte „Playlist“ ausgedruckt. Hitsender, wie das Hamburger „OK Radio“ von Frank Otto, spielen bloß noch 200 Songs bis zum Abwinken. FFH-Umfragen erforschen regelmäßig das Image und ob bestimmte Titel „den Leuten auf den Wecker gehen“. Nach zehn bis 20 Wochen erreichen die meisten „Top 40“-Hits ihr Verfallsdatum. Nur zwei bis drei davon gelangen als „Recurrents“ ins FFH-Repertoire.
Peter Zombik, Geschäftsführer des Bundesverbands Phono, will bei den Sendern „ein Bewußtsein dafür wecken, daß auch ein enges Hitradio in zwei Jahren noch Hits braucht“. Er beklagt „den zynischem Umgang mit Musik“ durch Manipulationen. Die Sender sollten statt dessen „mithelfen, neue Interpreten zu fördern“, denn „gerade die eckigen, sperrigen Sachen brachten in den letzten 30 Jahren die größten Innovationen“. Die Industrie müsse aber auch ihre Promoter besser qualifizieren. Manchmal versuchen sie noch, Popsendern Volksmusik anzudrehen. Viele Privatstationen lassen sich von den PR-Leuten gar nichts mehr liefern. Sie kaufen ihren Sound in einschlägigen Plattenläden.
„Wir spielen, wozur wir Lust haben“, sagt indes SWF 3-Moderator Wolfgang Michael Schmidt – obwohl auch der Klassiker unter den Pop-Rock-Kanälen die von der Werbung favorisierte Altersgruppe von 18 bis 40 bedient. Von der Konkurrenz möchten sich die Baden-Badener durch bessere Infos über die Musikszene absetzen. Schmidt: „Die Leute wollen verstärkt beraten werden.“
Unterdessen setzt das Nachdenken ein. Musikfirmen bieten den Sendern, wie in den USA längst üblich, Kurzversionen auf „Funk- Singles“. „Es gibt schon innovative Künstler“, sagt Raimund Wagner von „Antenne Bayern“, „das muß nicht immer schräg sein; wo vielen Künstlern nichts mehr einfällt, da lassen sie ihren Gitarristen zeigen, was er kann.“ Die Bayern spielen exklusiv sogar ein Band, das ihnen eine Lokal-Combo („PNA“) zuschickte. Manche Newcomer empfiehlt Wagner den Talent-Scouts der Industrie, denn auch sein Sender, Deutschlands größtes Privatradio, hat nur ein Repertoire von 3.000 Titeln überwiegend aus den sechziger bis achtziger Jahren.
Wie Radio FFH setzt auch „Antenne Bayern“ gerne auf liebliche mediterrane Popsongs. Das „Pitchen“ haben die Münchner indes aufgegeben: Zu oft passierte es, daß die Abspielautomatik Stimmen wie Kate Bushs oder Sally Oldfields zu unerwarteten Höhenflügen katapultierte. Dieter Deul
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