: Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill
Schon seit 17 Monaten wohnen wir im Orangenhain. Orange Grove, so heißt nämlich unser Viertel im Norden Johannesburgs. 17 ist eine gute Jubiläumszahl. Deshalb wollen wir endlich einmal unseren Kiez würdigen. Ein Höhenzug trennt Orange Grove von der City und von der staubigen Gegend, aus der die verrosteten Fördertürme der Goldbergwerke ragen. Der Stadtteil ist weder arm noch reich, kleinbürgerlich geprägt und „durchraßt“, wie Herr Stoiber sagen würde. Hier leben so ziemlich alle Hautfarben und Ethnien des Landes in friedlichem Nebeneinander. Und wenn noch mehr Schwarze zuzögen, dann könnte man glatt aufs Ortsschild pinseln: „Orange Grove. Neues Südafrika. Rassismusfreie Zone“.
„Aber die Kriminalität? Ist das nicht schrecklich?“ fragen die Freunde aus Europa. Wir zitieren dann sofort den Tankwart an der Hauptstraße Louis Botha. „Seit dreißig Jahren lebe ich hier. Nie ist mir oder meiner Familie etwas passiert. Kein Raubüberfall, kein Autodiebstahl, kein Einbruch, nichts.“ – Wir waren noch keine vier Wochen in der Gegend, da wurden am hellichten Tag bereits zwei Banken geknackt. „Na ja, ein bißchen aufpassen muß man schon“, meint Claire, eine ältere jüdische Dame. Ihr Vater überlebte den Pogrom in einem russischen Schtetl. Die Tochter zog weit weg von Deutschland, 11.000 Kilometer, bis ans Kap. Hier verkauft Claire Bleistiftspitzer, Zirkel und Federmäppchen. Wenn sie gut aufgelegt ist, kramt sie im deutschen Liedgut: „Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren...“
Ihr Herz gehört jetzt Orange Grove – und unsere Herzen auch. Ausgerechnet Südafrika! Wer hätte gedacht, daß in dieser durch die Apartheid zerrissenen Gesellschaft lebendige multikulturelle Inseln existieren, in denen man mehr Höflichkeit, Gleichmut und Toleranz findet als in Solingen, Mölln oder Lübeck? Vielleicht liegt es einfach am Mischungsverhältnis und daran, daß Südafrika schon immer ein Einwanderungsland war. Der Haufen in Orange Grove ist bunt zusammengewürfelt, keine Bevölkerungsgruppe dominiert, es herrscht ein babylonisches Sprachengewirr. Senora Tagliatti, die die schönsten Paßbilder südlich des Äquators knipst, spricht grundsätzlich nur Italienisch. Der Gemüsehändler, ein Flüchtling aus Mosambik, redet Portugiesisch. Kneipier Ermano, einst römischer Kolonialist in Eritrea, kann noch ein paar Brocken Tigre; auf seiner speckigen Speisekarte locken äthiopische Gerichte. Der Chinese an der Ecke hat nie Kohlen. „Fleitag wiedel“, sagt er meistens und entschuldigt sich tausendmal. Im wundersamsten Geschäft an der Louis Botha Avenue wird Indisch gesprochen. Der Laden ist bis unter den Plafond vollgestopft mit Blechtiegeln, Myriaden von Knöpfen, Filzpantoffeln, Stoffballen, Miederwaren und exotischen Zudecken, auf denen Tiger und Löwen herumturnen. Die älteren Herrschaften, welche wie schneeweiß gekleidete Ölgötzen auf dem Bowling-Feld stehen und unermüdlich Kugeln hin- und herrollen, unterhalten sich in Afrikaans. Und bei den fliegenden Händlern hört man, daß Orange Grove in Afrika liegt. Die Geschäftssprachen sind nämlich Zulu, Tswana, Xhosa oder Sotho. Rassenhaß? Fremdenfeindlichkeit? Nicht im Vielvölkerviertel Orange Grove. Mehr dazu nächste Woche.
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