■ Der bosnische Staat hat ein Recht auf Selbstverteidigung: Kontrollierte Bewaffnung
Am 26. 9. 1991 beschloß der Sicherheitsrat der UNO „ein Waffenembargo gegen Jugoslawien“ (Resolution 713). Dem vorausgegangen ist, daß die faktisch serbisch kontrollierte „Jugoslawische Volksarmee“ (JVA) – ein Drittel Kroatiens „unter ihre Kontrolle“ gebracht hatte. Dem unmittelbar gefolgt ist eine Großoffensive der JVA und Einkesselung, Blockade, Beschuß von Dubrovnik. Direkte Folge des Waffenembargos war dann schließlich der Fall von Vukovar zwei Monate später, das vom – als illegal geltenden – Waffennachschub abgeschnitten war. Erst ganze acht Monte später – am 30. 5. 1992 – beschloß der UN-Sicherheitsrat Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und Montenegro, mit denen man hoffte, die Treibstoffquellen für die serbische Kriegsmaschinerie zum Versiegen zu bringen.
Die Hoffnung war vergeblich. In der Zwischenzeit hat die serbische Armee weitgehend ihre Ziele in Kroatien erreicht. Die eroberten Gebiete wurden zu ihrer Entlastung der Kontrolle von Unprofor unterstellt, die Truppen und Waffenarsenale und der serbische Krieg nach Bosnien-Herzegowina verlegt. Die Eroberung und Städtebelagerung gingen unter einem neuen Tarnnamen – „Serbische Armee der Republik Bosnien- Herzegowina“ – ungestört weiter. Wo sich die Fronten wegen erbitterten Widerstandes der schwach bewaffneten Verteidiger bildeten, wurden sie durch Waffenüberlegenheit des Aggressors größtenteils geknackt.
Welcher Schluß ist daraus zu ziehen? Nun, der Blick zurück zeigt: Das Waffenembargo hat die Erweiterung des Krieges bewirkt. Es hat den serbischen Militärs ungestörte Ausnützung ihrer Waffenüberlegenheit ermöglicht. Wäre das Waffenembargo „gegen Jugoslawien“ nicht nach dem Zerfall des Staates auf die Republiken erstreckt worden, die als selbständige Staaten international anerkannt wurden, ihnen das Grundrecht auf Selbstverteidigung nicht vorenthalten gewesen, so hätten manche Frontabschnitte anders ausgesehen. Es ist einfach eine Unverschämtheit, abstrakt die Formel „je mehr Waffen, desto mehr Blutvergießen“ herunterzuleiern und die Gegebenheiten vor Ort außer acht zu lassen. Vor Ort sieht es nämlich so aus, daß die serbische Armee Blut von Zivilisten vergießen kann, ohne das Risiko eingehen zu müssen, nicht kalkulierbare Opfer unter ihren ausgebildeten Soldaten einstecken zu müssen. Wer das Wort „Waffenembargo“ in den Mund nimmt – mit welcher Absicht auch immer – muß zumindest soweit in der „militärischen“ Terminologie bleiben, wie nötig ist, um die konkrete, materielle Kriegssituation präzise zu beschreiben – die Situation der Gewalt und Gegengewalt. In der militärischen Logik kommt dem Verlust von Soldaten ein hoher Stellenwert zu. Je besser sich eine Stadt verteidigen kann, und das heißt in der Regel: je mehr Waffen ihr zur Verfügung stehen, desto mehr Tote muß der Angreifer in den eigenen Reihen befürchten, desto höher die Chance, daß er von einem Angriff absieht. Nun, es geht nicht darum, auf dem Papier verlorene Schlachten zu gewinnen, sondern die Dimension zu öffnen, in der die Aufhebung des Waffenembargos für die bosnische Republik heute nicht die Verlängerung des Krieges bedeuten muß, sondern vielleicht eher seine Begrenzung absehbar macht.
Es kann sich für uns, die wir fern vom Krieg, im Frieden und Wohlstand leben, die um das Leben unserer Söhne und Töchter nicht fürchten müssen und die wir durch diesen Krieg nichts verloren haben, nicht darum handeln, auf der Ebene „Krieg statt Frieden“ (taz, 1. Juni) zu argumentieren. Wenn die verschleiernde „Rhetorik des Bürgerkrieges“ (taz, 16. Mai) kritisierbar ist, dann heißt das nicht, daß eine „Kriegsrhetorik“ wünschenswert sein sollte. Nun muß derjenige, der sie vermeiden will, nicht gleich für „Frieden um jeden Preis“ (taz, 4. Juni) plädieren und damit in eigenen Gedankenkonstruktionen noch alle Schlachten gegen die bösen Nationalisten von Belgrad bis Zagreb gewinnen wollen.
Ein Rückblick auf das Kriegsgeschehen erinnert auch daran, daß bislang alle Versuche, für eine Aufhebung des Waffenembargos für die angegriffenen Staaten zu plädieren, im Lärm der Interventionsdebatten untergegangen waren. Dabei ist es genau diese Forderung der legitimen bosnisch-herzegowinischen Regierung und Staatsführung, die man unterstützen und verantworten kann. Zugegeben: während der bosnisch-kroatische Krieg im Kriege tobte, war es nicht ganz problemlos, für die Aufhebung des Embargos zu plädieren. Die neue institutionelle Übersichtlichkeit und die erneuerte Legitimation der Republik untermauern ihr Recht auf Selbstverteidigung. Wer auf dem Waffenembargo beharrt, will gleichzeitig sagen, die Bosnier sollen ihre Niederlage zugeben. Das Embargo hat sich die ganze Zeit harmonisch nicht nur mit serbischen Eroberungen gepaart, sondern auch mit Verhandlungen, die Friedensverhandlungen heißen und im Grunde solche der Teilung waren, die den Serben den Großteil ihrer Kriegsbeute unbehelligt läßt. Seine Aufrechterhaltung hieß und heißt: die Serben brauchen die Zukunft nicht zu befürchten und die Moslems nicht auf sie zu hoffen. Ohne es zu bewerten, ist aber festzustellen, daß die Bosnier nicht kapituliert haben und es auch nicht werden.
Aufhebung des Embargos für Verteidigungswaffen heißt legale Aufrüstung, eine, die über die legitimen Institutionen des Staates – wenn nicht ganz, so doch vorwiegend – abgewickelt wird. Es wäre eine Bewaffnung, über die man im Ansatz Kontrolle erlangen könnte. Dieser Akt wäre auch einer des Vertrauens in die führenden politischen und militärischen Strukturen des bosnisch-herzegowinischen Staates, das diese nicht einfach aufs Spiel setzen würden. Die Forderungen der bosnisch-kroatischen Föderation – unter anderem 58 Prozent des Territoriums – können durch Erlangen der Kontrolle über einige strategisch wichtige, für das Überleben des amputierten Staates unerläßliche, Verbindungspunkte eingelöst werden. Mit der Aussicht auf eine Integration in den Westen und Unterstützung zum Wiederaufbau könnte diese Begrenzung auf die reine Verteidigung des gerade noch überlebensfähigen Rumpfs des bosnisch-herzegowinischen Staates für die Zukunft halten. Andernfalls wird zukünftig die Ideologie der Befreiung – mit allen innen-, außenpolitischen und kriegerischen Konsequenzen – die bosnische Gesellschaft regieren.
Natürlich könnte man jetzt über unmittelbare Reaktionen der Serben auf die Aufhebung des Waffenembargos spekulieren. Sie würden dann auf jeden Fall erkennen müssen, daß sie in Zukunft ihre erpresserische Politik dem Westen gegenüber nicht so ohne weiteres fortsetzen können. Das würde schwer zu verdauen sein. Vorerst versuchen sie allerdings mit Hilfe von UN-Vermittler Akashi, der bosnisch-kroatischen Föderation einen Waffenstillstand aufzunötigen, der ihre Eroberungen für alle Ewigkeit zementieren soll. Dunja Melćić
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen