: Kein kurzer Prozeß
■ JuristInnen gegen „großen Lauschangriff“ und Co.
Selten genug kommt es vor, daß sich ein ganzer Raum voller JuristInnen einig ist. Noch seltener allerdings geschieht es, daß RichterInnen, StaatsanwältInnen und VerteidigerInnen sich zusammentun und über ein Gesetz schimpfen, das es noch gar nicht gibt. Denn der Normalfall im gewaltenteiligen Staat ist eben, daß Gesetze von Parlamenten gemacht und von der Rechtsprechung – wenn auch manchmal mit leisem Zähneknirschen – angewandt werden. Anlaß für diese überaus seltene Einmütigkeit war eine Versammlung am Mittwoch nachmittag im Landgericht: Eine Informationsveranstaltung über zwei in Bonn geplante Gesetzesvorhaben: Das „2. Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität“ von der SPD-Bundestagsfraktion und das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ der Regierungskoalition. Einhellige Meinung in Bremen dazu: Ein kleiner Schritt für den Gesetzgeber, ein großer Schritt in Richtung Polizeistaat.
Denn was die Experten auf dem Podium als Konsequenz der Gesetze ausmalten, hatte mit dem Rechtsstaat nicht mehr viel gemein. Stefan Walz, Datenschutzbeauftragter für Bremen, sprach von einer „langen Kette von Grundrechtseinschränkungen“ während der laufenden Legislaturperiode: Mit dem nun vorgeschlagenen „großen Lauschangriff“ würden ohne Not das Fernmeldegesetz beschränkt und durch die Beteiligung der Nachrichtendienste an diesen Aktionen die im Gundgesetz geforderte Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten aufgegeben. Die Sicherung durch Richter für die Eingriffe sei nicht verläßlich. Schließlich: „Strafverfolgung geht nicht allen anderen Rechten vor, sie muß sich an diesen messen lassen.“
Als „Weg zurück zum vordemokratischen Inquisitionsverfahren“ bezeichnete der Rechtsanwalt Reinhold Schlothauer die geplanten Beschränkungen des Strafverfahrens: So soll die Möglichkeit der Verteidigung eingeschränkt werden, Beweisanträge zu stellen, Schnellverfahren sollen durch eine „light“-Version der Strafprozeßordnung ermöglicht werden. In Prozessen, die sich hauptsächlich auf die Ermittlungsakten der Polizei stützen, wäre die Gefahr von Fehlurteilen groß, weil die Akten von einem „gewissen Überführungs- und Belastungsinteresse“ ausgingen. „Eine effektive Verteidigung ist in diesen Fällen nicht mehr denkbar“, so das vernichtende Urteil des Anwalts.
Einzig Friedrich Wulf, Richter am Amtsgericht, konnte an den Gesetzesentwürfen wenig Schlechtes finden: Die Beschleunigung von Verfahren sei auch jetzt bereits Gesetz, Deutschland sei im internationalen Vergleich immer noch vorbildlich. Da aber widersprachen seine KollegInnen: Die neuen Gesetze seien „mit der heißen Wahlkampfnadel“ gestrickt und ininzwischen ja auch „so gut wie tot“: Der SPD-Entwurf ist bereits im Bundestag gescheitert, der Entwurf der Regierung soll heute im Bundesrat gekillt werden. „Aber das taucht jedes Jahr wieder auf“, meinte Bernd Asbrock, Richter am Landgericht. „In den letzten sechs Jahren gab es sechs Gesetzesänderungen in diesem Bereich“. Beschleunigte Verfahren seien momentan technisch und personell gar nicht vorstellbar wie im Gesetz gefordert – „Die Entwürfe stammen von Innenpolitikern ohne Kenntnis der Zustände vor Ort“.
Justizsenator Henning Scherf zeigte sich vor allem „empört über die Aufhebung der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten – das ist etwas, das die Nazis gemacht haben“. Die Gerichte müßten entlastet werden, „aber man darf uns nicht nachsagen, wir machten mit den Menschen kurzen Prozeß.“
(siehe dazu auch S.27)
Bernhard Pötter
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