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Heiße Ohren in Toronto

■ Fußballänderspiel Kanada-Deutschland 0:2 / Wenig Spielfluß und viele Verletzte beim letzten Weltmeisterschaftstest der deutschen Mannschaft

Berlin (taz/dpa) – Nachdem die kanadische Fußball-Nationalmannschaft, selbst in der Qualifikation an Mexiko gescheitert, die Ehre hatte, zwei der am höchsten gehandelten Weltmeisterschaftsfavoriten, Brasilien und Deutschland, binnen einer Woche zu testen, drängt sich ein Vergleich natürlich auf. Diplomatisch zieht sich Kanadas Coach Bob Lenarduzzi aus der Affäre. „Beide haben Titelchancen“, sagte er nach dem 0:2 seiner Mannschaft gegen die Deutschen in Toronto, merkte jedoch an, daß die Brasilianer, die nur ein 1:1 erreicht hatten, „im Angriff variantenreicher“ waren und sich mehr Torchancen erarbeiteten.

Das ist recht vorsichtig ausgedrückt. Über lange Zeiträume hinweg kamen die Kanadier gegen die Südamerikaner nicht aus ihrer Hälfte heraus, und wäre da nicht die ungewöhnliche Abschlußschwäche der beiden notorischen Torjäger Romario und Bebeto gewesen, die sechsmal frei vor Keeper Forrest auftauchten und stets am Tor vorbeischossen, hätten die Brasilianer haushoch gewonnen. Besser machten es die beiden im übrigen am Mittwoch beim 8:2 gegen Honduras, als Romario drei, Bebeto zwei Treffer gelangen.

Auch die Deutschen vergaben Chancen gegen die Kanadier, doch es dauerte sehr lange, bis sie sich überhaupt welche herausspielten. Ohne Andreas Möller entwickelte das Mittelfeld kaum Druck nach vorn, die beiden Spitzen Klinsmann und Völler hingen in der Luft und wenn sie mal aussichtsreich an den Ball kamen, verstolperten sie diesen durch technische Fehler (Klinsmann) oder Überhast (Völler). Häßler blieb wirkungslos, Basler spielte unglücklich, Sammer immerhin vorwärts. Gefahr ging jedoch einzig von den Flanken Brehmes aus. So auch in der 31. Minute, als Sammer eine Brehme- Flanke zum 1:0 ins Tor köpfte. Danach ließ die Konzentration der Kanadier bis zur Halbzeit erheblich nach, doch Völler und vor allem Basler scheiterten bei guten Gelegenheiten relativ kläglich.

Die Abwehr um den sicheren Matthäus stand gegen die allerdings ziemlich harmlosen kanadischen Angreifer recht gut, lediglich Berthold leistete sich seine üblichen haarsträubenden Leichtsinnsfehler, die bei der WM manchen Punkt kosten könnten. Nach dem Match regte sich Berthold dann fürchterlich auf, daß die Kanadier „hingetreten“ hätten, „als ob es um eine Weltmeisterschaft ginge“. Auch Bundestrainer Berti Vogts bedauerte das „aggressive Spiel“ des Gegners, nachdem Strunz und Basler mit allerdings durch eigene Schuld zugezogenen Verletzungen vom Platz mußten. Der befürchtete Kniescheibenbruch Baslers erwies sich später jedoch als Prellung, während Strunz eine Oberschenkelzerrung davontrug und vermutlich für die ersten WM-Partien ausfällt. Kleinere Blessuren erlitten Häßler und Kohler, der sich beim Kopfballduell ein „heißes Ohr“ (Vogts) zuzog, gar nicht erst dabei waren Effenberg (Muskel), Kirsten (Adduktoren) und Buchwald (Muskel).

Lothar Matthäus machte für die Verletzungshäufung weniger die Kanadier veranwortlich, die den deutschen Bemühungen, den Ball unter Kontrolle zu bringen, zwar nicht so passiv wie die Österreicher zusahen, aber auch nicht übermäßig hart einstiegen, sondern die Widrigkeiten der Vorbereitungsphase. „Die Muskulatur hat sich noch nicht erholt, vom Training und den vielen Strapazen wie der Reise und der Zeitumstellung“, meinte Matthäus, hält solche Testspiele aber dennoch für nötig: „Verhältnisse wie gegen Kanada finden wir bei der Weltmeisterschaft wieder.“

Wenig erfreulich verlief der Tag für den reanimierten Nationalspieler Rudi Völler, der vehement seinen Einsatz gefordert hatte, aber nach eigener Einschätzung „unglücklich und unter Form spielte“. Immerhin war ihm dank Schiedsrichter Lodge (England), der gar nicht abpfeifen mochte, noch ein kleines Erfolgserlebnis vergönnt. In der 96. Minute gelang dem 34jährigen das 2:0, wofür er sich ein vergiftetes Lob von Lothar Matthäus einhandelte: „Er ist eine echte Alternative für unseren Angriff.“ Genau das wollte Rudi Völler, der anfangs gesagt hatte, er kehre nur als Stammspieler zurück, eigentlich nicht sein. Matti

Deutschland: Illgner - Matthäus - Kohler (46. Helmer), Berthold - Strunz (69. Gaudino), Basler (83. Kuntz), Sammer, Häßler (66. Wagner), Brehme - Völler, Klinsmann (46. Riedle)

Zuschauer: 20.124; Tore: 0:1 Sammer (31.), 0:2 Völler (90.)

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