piwik no script img

Recht auf Lohnfortzahlung bei Krankheit

■ „560-Mark-Kräfte“ : Gewerkschaft setzte Gesetzesänderung durch Von Kai von Appen

Sie sind die Mägde und Knechte der Arbeit: Die zahllosen RaumpflegerInnen, ServiererInnen, Bürohilfen oder KassiererInnen, die als „geringfügig Teilzeitbeschäftigte“ diese Jobs nebenbei machen und dafür 560 Mark erhalten. Und kaum Arbeitnehmerrechte dafür haben. Eines bekommen sie nun per Richterspruch zugestanden: Ab 1. Juli müssen ihnen im Krankheitsfall sechs Wochen Lohnfortzahlung durch das Unternehmen gewährt werden.

Das neue „Entgeltfortzahlungsgesetz“ betrifft vor allem SchülerInnen, StudentInnen, Hausfrauen und alleinerziehende Mütter. Hans Schmid, Hamburger Landesverbandschef der „Gewerkschaft Bau Steine Erden“ (BSE), sagt: „Durch die Gesetzesänderung verbessert sich allein in Norddeutschland die Lage von 35.000 Beschäftigten in der Gebäudereinigung.“

Die Gewerkschaft hat lange um diesen Erfolg gekämpft. Den ersten Vorstoß gegen die diskriminierende Regelung machte die Gewerkschaft bereits Mitte der achtziger Jahre. Die BSE rügte in mehreren Klagen, daß die Klausel im Lohnfortzahlungsgesetz, wonach im Krankheitsfall nur dann weiter gezahlt werden muß, wenn die Wochenarbeitszeit zehn Stunden übersteigt, vor allem das Gros der Frauen mit 560-Mark-Jobs benachteiligt.

Doch die BSE konnte sich nach einem Instanzenstreit vor dem Bundesarbeitsgericht nicht durchsetzen. Das Verfahren wurde vorübergehend ausgesetzt. Erst 1989 gelang der erste Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof: Die Luxemburger Richter sahen im „Paragraph eins, Absatz drei, Nummer zwei“ des Lohnfortzahlungsgesetzes einen Verstoß gegen Artikel 119 des „Europäischen Wirtschaftsgemeinschafts-Vertrags“. Ergebnis: Das deutsche Gesetz wurde für „unzulässig“ erklärt. Durch die Unterschlagung der Krankheitsknete erfolge eine mittelbare Frauendiskriminierung.

Das Bundesverfassungsgericht schloß sich diesem Votum an. Auch hier hieß die Begründung: Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Nun konnten sich auch die konservativen Bundesarbeitsrichter um die Entscheidung nicht länger herummogeln und sprachen am 9. Oktober 1991 in einem Grundsatzurteil „geringfügig Beschäftigten“ einen Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit zu.

Trotz dieses höchstrichterlichen Urteilspruches unterschlugen dennoch viele Unternehmen den Betroffenen bei Arbeitsunfähigkeit den Lohn. „Viele unserer Mitglieder mußten ihre Ansprüche erst einklagen, oder sie verzichteten darauf“, so Schmid. Er hofft auf wachsendes Durchsetzungsvermögen bei den Mitgliedern: „Wenn die Arbeitgeber in der Gebäudereinigung nicht einlenken, droht ihnen eine neue Prozeßwelle.“ Das Recht auf Lohnfortzahlung gilt natürlich für alle Branchen - wie für VerkäuferInnen, KellnerInnen oder Büroangestellte. Die BSE werde ihre Bemühungen zur weiteren sozialen Absicherung der 560-Mark-Kräfte in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung fortsetzen, sagte Schmid. Einen Anspruch auf Krankengeld nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit haben 560- Mark-Kräfte immer noch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen