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Unkritische taz schweigt über Hck-Filz -betr.: Interview mit Ortsamtsleiter Heck, taz vom 6.6.94

Betr.: Interview mit Ortamtsleiter Heck, taz vom 6.6.94

Irgendwie hält sich ja immer noch das Gerücht, die taz sei angetreten, einen anderen Journalismus zu machen, frech, kritischer usw. Bei gelegentlicher Lektüre des Bremer Teils der taz frage ich mich verzweifelt, wie es wohl dazu gekommen sein mag. Reichlich Anlaß dazu gibt wieder einmal das oben genannte Interview.

Hofberichterstattung bleibt auch dann Hofberichterstattung, wenn sie unter „alternativen“ Vorzeichen erfolgt, wenn man den ehrfürchtig und affirmativ Befragten duzen, ihn mit dem anheimelnden Rufnamen Hucky belegen und auf dem beigegebenen Foto in Westernmanier an einem Müllcontainer gelehnt präsentieren kann. Alles ist also die Schuld der bösen Verwaltung, teilt der Herrscher des Viertels seinen geneigten Untertanen als Grund für seine Abdankung mit, und Dirk Asendorpf gibt ihm voll Verständnis Stichworte für weitere Ausführungen. Wer wollte sich auch angesichts der bestürzenden Mitteilung, Majestät habe den Rücktritt genau Montag nacht um 0.04 Uhr beschlossen, nicht in Hochachtung neigen vor der Unwägbarkeit einer solchen Entscheidung. Da verbieten sich respektlose Nachfragen, etwa die, ob Heck im Viertel nicht längst Teil eines Filzes geworden ist, der zwar „alternativ“, aber darum nicht weniger dicht verwoben ist als der der städtischen Ämter, den unser Held so tapfer bekämpft hat. Und angesichts der tragischen Menschlichkeit der Information, daß der Ortsamtsleiter in Zukunft in der Kneipe seines Bruders hinter dem Tresen zu stehen gedenkt, kann doch niemand verlangen, daß ein kritischer Journalist auf die Idee kommt, sich mal die Frage zu stellen, wie denn Hecks Bruder zum Betreiber einer der umsatzträchtigsten Kneipen des Höfenquartiers geworden ist. Das hat mit Sicherheit nichts damit zu tun, daß das Ortsamt in den letzten Jahren wo immer es konnte die Interessen der Besitzer des Höfenquartiers unterstützt hat - gegen die lärmgeplagten Anwohner und Hand in Hand mit den städtischen Ämtern, die zu bekämpfen unser tragischer Held vorgibt.

Macht nur weiter so, liebe tazler - übt Euren kritischen Geist in gnadenlos konsequenten Recherchen über die rosa Telefonnummern des „Weserreport“ und kratzt nur ja nicht an dem „alternativen“ Image der Leitfiguren des Milieus, von dem ihr schließlich selbst lebt.

Hartmut Stenzel

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