Is it platt? Yes, it is!

■ Premiere für „Kramer Kray“ im Ernst-Waldau-Theater: Eine weitere plattdeutsche Klamotte mit dem handfesten Charme verstaubter Englisch-Sprachfernkurse

Im plattdeutschen Musentempel des Dr. Richard Ohnsorg in Hamburg erlebte die Komödie „Kramer Kray“ anno 192O ihre Uraufführung. Bereits damals hatte Autor Hermann Boßdorf eher im Kalauer-Kasten des kollektiven Langzeitgedächtnis gekramt, als daß er den Anspruch erhoben hätte, ein Stück aus der Zeit für die Zeit zu schreiben.

Im Bremer Waldau-Theater wird der schnell erzählte Stoff nunmehr so auf die Bühne gestellt, als ob es gelte, eine Freilichtaufführung für das Cloppenburger Museumsdorf zu gestalten, um die Welt des Lachens unserer plattdütschen Urgroßväter im Zeittunnel passierbar zu machen: Nach dem Ableben seiner resoluten Frau Jette lässt Kramer Kray sich und seinen Kolonialwarenladen immer mehr verkommen, wobei sein liederlicher Zechkumpan Broihan durchaus treibende Kraft ist. Diverse Damen versuchen nun, den Witwer erneut ins Ehejoch zu spannen: Dabei solche, denen man die potentielle Geschäftsfrau abnimmt, aber auch solche, die in Kramer Kray wohl nur das willkommene Opfer für Beutelschneidereien sehen. Gefahr erkannt-Gefahr gebannt: Mit Hilfe des verbummelten Freundes lässt Kray seine Verstorbene als Geist herumspuken, muß sich aber schließlich doch der Allmacht seiner Haushälterin beugen.

Regisseur Hans-Peter Renz vermeidet alles, was ihm als ironische Distanzierung von dieser Speeldeel-Klamotte ausgelegt werden könnte. Und ängstlich scheut er auch davor zurück, mit dem Rotstrich unendlich lange Wiederholungs-Passagen zu streichen: Die Inszenierung erreicht dadurch die dramaturgische Lebendigkeit jener Sprachstudien, mit denen Walter and Conny uns vor Jahr und Tag Learning English näher brachten. Look, Big Ben. Is it Big Ben? Yes, it is! Daß die Licht-Regie Bühnenbild und Darsteller dann auch noch allzuoft im Kohlenkeller stehen lässt, ist vielleicht auch als didaktisches Angebot an die Nicht-Plattdeutschen gedacht, sich voll auf die Sprache zu konzentrieren.

Zum Glück kann selbst der zage Spielleiter dieser Inszenierung echte norddeutsche Komödianten nicht anstecken mit seiner Wiederentdeckung der Langsamkeit: Vor allem der schwergewichtige Klaus-Dieter Stenzel sorgt als verlodderter Krämer immer wieder für prachtvoll-bullerige Ausbrüche angetüdelten Mannestums. Auch Wiegand Haar als der zu Wein, Weib und Gesang verführende beste Freund Broihan ist mit seinem alt-junggeselligem Charme mehr als einen Lacher wert. Wie Karin Hölscher als resolute Haushälterin und Ingeborg Heydorn als tratschige Reinmachefrau ihren liederlichen Arbeitgeber trotz aller Rivalität gemeinsam an die Kandarre nehmen, demonstriert nachhaltig die Überlegenheit des Weibes im evolutionären Prozess.

Elfie Schrodt als auf Krawall gebürstete Schlachtersfrau, Rolf Bahr als plietscher Hausknecht und Isolde Beilé als geldgierige und verruchte Nachteule ergänzen das Ensemble dieser niederdeutschen Knallchargen-Truppe aus dem Bühnenarchiv durchaus vorteilhaft.

Und wenn da mehr Licht gewesen wäre, hätten wir Ihnen vermutlich auch lobendes zum Bühnenbild von Roland Wehner und zu den Kostümen von Susanne Faye sagen können.

In seiner Schlachthof-Inszenierung von Fassbinders „Bremer Freiheit“ arbeitete Regisseur Renz einst mit der Punkband „Die Schlacht“ zusammen. Eine Frischzellenkur aus dieser derben Ecke täte wahrscheinlich wieder mal ganz gut.

Ulrich Reineking-Drügemöller