■ Soundcheck: Nina Hagen / Willy de Ville / Silent Majority
Gehört: Nina Hagen. Nina Hagen ist zweifellos eine Persönlichkeit. Leider eine gespaltene. Die Diva in ihr hätschelt exzessiv ihre Manierismen: über die Bühne staksen wie ferngesteuert, zu jedem Song eine neue Perücke, der gespreizte Griff zu Schnupftuch und Federboas. Die trotzige Chaotin wiederum steht auf die reinigende Kraft einfacher Ackordfolgen: Punk und Geradeaus-Rock, möglichst satt, fett und schmutzig. Beim Versuch, zusammenzuzwängen, was nicht zusammengehört, sinnentleerte sie beide Haltungen. Meist prahlte die kompakte Band mit kernigen Statements von zwei Minuten. Zuwenig Zeit für Frau Hagen, die stimmlich zuviel wollte: brüllen, tirilieren, jodeln, stöhnen. Wofür diese knapp 90 Minuten vergeblicher Selbstfindung, fragten sich die ratlosen Zuschauer. Nina schwieg geheimnisvoll, legte sich in ihre Kostümkiste und zog den Deckel zu.
Björn Ahrens/Foto: JMS
Gehört: Willy De Ville. Sein Gebiß glitzert wie die Auslage eines Pfandleihers in der 42nd Street. Der Mann, dessen Erscheinungsbild einer Kreuzung zwischen Doc Holliday und Graf Dracula entspricht, mag es eben gern Golden. Und Golden waren auch die „Töne“ mit denen Willy De Ville sein Publikum im Stadtpark beglückte. Nach den Subdudes aus New Orleans, die man gerne einmal als Main-Act erleben möchte, zeigte Willy seinen Fans vom „Cadillac Walk“ bis zum „Spanish Stroll“, daß er die Veschmelzung von Mariachi-Klängen und Rock'n'Roll mühelos beherrscht. Mehr Anstrengung kostete es ihn, sich eines weiblichen Fans zu erwehren: Von Leidenschaft überwältigt klammerte sie sich hartnäckig an den Sänger, der wohl nicht nur um seinen goldenen Zahn fürchtete. C.A.K. / Foto: JMS
Heute abend: Silent Majority. Lausanne gilt gemeinhin als schnarchige, aufgeräumte Stadt an einem idyllischen Schweizer See. Doch offenbar bündeln sich im Dreiländereck Kraftquellen aus zahlreichen Regionen und lassen so widerstandsfähige Blüten an den Seeufern gedeihen. Auf der Basis afro-amerikanischer Kultur toben sich die Rapper von Silent Majority in nicht weniger als vier Idiomen aus. Das multikulturelle Septett aus dem Umfeld von Sens Unik beweist nebenbei, daß Französisch auch für hartgesottene Reime taugt. Dabei wirken sie bereits reifer als ihre Ziehväter und wagen es auch Mal, den Atem anzuhalten. Dann vereinnahmen sie geschickt Rastafarianismus, fürzelnden Trompeten und Soulschmankerl, ohne die Aussicht auf den See zu vergessen. Volker Marquardt
Marquee, 22 Uhr
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