: Grüne werden Volkspartei
■ Nur bei den Rentnern liegen CDU und SPD noch vorn Von Florian Marten
Hamburger Personalchefs mit politischer Grünallergie dürften in Zukunft erhebliche Schwierigkeiten bei der Besetzung neuer Stellen bekommen. Beim 18 bis 45jährigen Wahlvolk dominierte am Sonntag erstmals an der Elbe die grüne Farbe. Die Grünen kamen in dieser von Werbebranche wie Personalchefs gleichermaßen bevorzugten Altersgruppe auf bislang nie erreichte 36 Prozent. Die SPD mit 32 Prozent und die CDU mit 17 Prozent folgten mit deutlichem Abstand.
Nur den alten Frauen, sie lieben CDU und SPD, und dem Wahlfleiß der älteren Generation, sie dackelt überdurchschnittlich brav zu Urne, verdanken es CDU und SPD, daß die Grünen noch nicht zu Hamburg stärkster Partei aufgestiegen sind: Bei den über 60jährigen, diesmal immerhin 34 Prozent des Urnenvolks, landeten die Grünen mit gerade drei weit hinter den jeweils 42 Prozent von CDU und SPD. Kein Wunder, daß die durchschnittliche CDU-WählerIn biblische 59 Lenze zählt, das SPD-Wahlvolk den Frührentner-Herbst von 55 Durchschittsjahren genießt, während die Grün-WählerIn als flotte Mitdreißigerin (34) daherkommt.
Volkspartei-Qualitäten beweisen die Grünen auch in ihrer flächendeckenden Präsenz: In immerhin jedem zehnten Hamburger Stadtteil sind sie die stärkste Partei (40 Prozent in St.Pauli). Dabei legten die Grünen (Rekordwahllokal: Schule Bernstorffstraße mit 57 Prozent) in reichen Außenbezirken (Waldörfer), flotten Gründerjahrevierteln (Winterhude, Eppendorf) und sozialen Brennpunkten (St.Georg, St.Pauli) gleichermaßen zu.
Während die rechten bürgerlichen Kleinparteien FDP und Statt hamburgweit zur Bedeutungslosigkeit verkamen, leiden CDU und SPD an speziellen Stadtteilschieflagen: Stark ist die CDU nur noch in den reichen Außenbezirken (Wellingsbüttel und Othmarschen je 48 Prozent). Die SPD klammert sich dagegen an traditionelle Arbeiterviertel (Rekordstimmenzahl: 74,5 Prozent im Wilhelmsburger Alten- und Pflegeheim Reinstorfweg), meist dort, wo die Reps vereinzelt noch bis zu 10 Prozent schafften (Wilhelmsburg, Horn).
Die Grünen dagegen konnten, trotz des Rekordtiefs der Wahlbeteiligung, sogar die absolute Zahl ihrer Stimmen gegenüber der Bürgerschaftswahl noch einmal auf jetzt 117.000 steigern. Erstmals liegen Hamburgs Grüne sogar im Metropolen-Ranking auf Platz 1. Frankfurt (17,9 Prozent), Stuttgart (17,5%), Köln (172%) und Bremen (16%) folgen.
Auch wenn Voscheraus Rot-Grün-Verweigerung das grüne Wahlpendel diesmal besonders heftig ausschlagen ließ, ist der grüne Vormarsch kein Zufallsprodukt: Im langfristigen Trend, so zeigen es die Analysen, steigt das grüne Wählerpotential stetig an, während die Basis von CDU (dramatische Überalterung) und SPD (verliert den Kontakt zu Protestwählern und neuen Mittelschichten) von Jahr zu Jahr zurückgeht. Erreicht die 68er Generation einst das Rentenalter, dann könnte es eng für die alten Volksparteien in Altenheimen (SPD) und Rentnervillen (CDU) werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen