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Debakel für die FDP – grüne Gewinne

■ Europawahl: FDP verliert zwei Drittel ihrer Stimmen / SPD und CDU zeigen sich zufrieden

Glaubt man den Erklärungen danach, dann hatte die Europawahl am Sonntag in Bremen viele Gewinner, aber nur einen einzigen Verlierer, die FDP. Während Grüne, SPD und CDU gestern in Erklärungen ihr Wahlergebnis als Erfolg verbuchten, sagte der FDP-Landesvorsitzende Manfred Richter klipp und klar: „Unser Ergebnis ist schlecht.“ Tatsächlich ist die Bremer FDP gegenüber der Europawahl 1989 von sieben auf 4,6 Prozent abgerutscht – ein Verlust, der deutlich über dem Bundesergebnis (von 5,6 auf 4,1) liegt (vgl. „Nachgefragt“, S.22).

Noch dramatischer stellt sich die Situation bei den absoluten Stimmen für die FDP dar. Gegenüber der letzten Bürgerschaftswahl verlor sie rund zwei Drittel ihrer WählerInnen und sank von 35.100 auf 12.200 Stimmen. Aufgrund der deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung (53 gegenüber 72 Prozent bei der Bürgerschaftswahl) haben zwar bis auf die Grünen alle Parteien Stimmen verloren, so dramatisch wie bei der FDP war der Einbruch jedoch sonst nirgendwo. So sprach der Landesvorsitzende Richter denn gestern auch nur noch von „guten Chancen“ für die FDP, die Bundestagswahl „erfolgreich zu bestehen“.

Nachdem die PDS bundesweit knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist, wird die bisherige Leiterin des Bremer Büros in Brüssel, Karin Joens, die einzige Repräsentantin des kleinsten Bundeslandes im Straßburger Parlament sein. Mit Platz 20 hatten sie einen bombensicheren Platz auf der Bundesliste der SPD.

Mit 40,7 Prozent lag die Bremer SPD zwar um fast sechs Prozentpunkte unter ihrem Europawahlergebnis von 1989, konnte sich gegenüber der letzten Bürgerschaftswahl (38,3 Prozent) aber etwas erholen. „Wir sind froh, daß wir wieder deutlich Tritt gefaßt haben“, kommentierte gestern die Landesvorsitzende Tine Wischer. Eine absolute Mehrheit der Stimmen konnte die SPD allerdings nur noch in ihren Hochburgen Woltmershausen und Ohlenhof erzielen.

Weniger Erfolg als erhofft hatte die Bremer CDU. Mit einem Zuwachs von 4,7 Prozent gegenüber der letzten Europawahl hat sie in Bremen zwar besser als auf Bundesebene abgeschnitten, ist mit 28,1 Prozent allerdings gegenüber der letzten Bundestags- und Bürgerschaftswahl (je 31 Prozent) wieder kräftig abgesackt. Ein Umstand, den der Landesvorsitzende Bernd Neumann gestern unkommentiert ließ. Stattdessen freute er sich über den Verlust der SPD, der gegenüber der 89er Europawahl in Prozentpunkten höher ausgefallen war als der Zugewinn der CDU.

Überraschend erfolgreich hat die CDU in den traditionellen SPD-Hochburgen abgeschnitten. So konnte sie sich in der Vahr von 22 auf 32 Prozent und in Tenever von 20 auf 30 Prozent verbessern. Ansonsten profitierte die CDU wiederum von der deutlich höheren Wahlbeteiligung in ihren Hochburgen. So gingen zum Beispiel über 65 Prozent der OberneuländerInnen zur Wahl, während in Gröpelingen kein einziges Wahllokal auch nur annähernd 50 Prozent Wahlbeteiligung erreichte.

Großer Gewinner der Europawahl sind die Grünen. Sowohl bundesweit (10,1 Prozent) als auch in Bremen (16,0) erzielten sie das beste Ergebnis, das sie je erreicht haben (vgl. Interview mit Marieluise Beck, S.2). Trotz der deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung konnten die Grünen sogar gegenüber der Bürgerschaftswahl die Zahl ihrer absoluten Stimmen von 42.100 sogar noch auf 42.700 steigern. In einem fast geschlossenen Gürtel rund um die Innenstadt sind die Grünen inzwischen stärkste Partei. Im Ostertor erreichten sie mit 41,7 Prozent ihr bestes Ergebnis, aber selbst im vorderen Schwachhausen sind die Grünen zur stärksten politischen Kraft geworden. „Die Grünen sind eine typische Innenstadtrand-Partei“, nannte Wahlleiter Jürgen Dinse gestern diesen Effekt.

In einigen Großstädten haben die Grünen sogar noch besser als in Bremen abgeschnitten. So zum Beispiel in Hamburg (18,4 Prozent), Frankfurt (17,9), Stuttgart (17,5) und Köln (17,2). „Wir sind nicht mehr nur Milieu- und Protestpartei, sondern zunehmend eine echte Alternative zu SPD und CDU“, kommentierte Umweltsenator Ralf Fücks diesen Trend. Ihm sei „ein Stein vom Herzen gefallen“, daß die Bremer WählerInnen den Grünen „trotz der Koalitionsquerelen gewogen geblieben sind“.

Mit 2,1 Prozent hat in Bremen auch die PDS für Westdeutschland überraschend gut abgeschnitten. Auffallend ist, daß die PDS überall dort stark ist, wo auch die Grünen stark sind. So wählten im Ostertor 7,6 und im Steintor sogar 9,7 Prozent die Gysi-Partei, in der Vahr dagegen nur 1,3 Prozent.

Stark abgesackt sind dagegen die rechtsextremen Parteien. Während die Schönhuber-Republikaner in Nürnberg (7,2 Prozent), Stuttgart (7,1), München (6,0) und Frankfurt (5,5) noch Erfolge feiern konnten, kamen sie in Bremen nur noch auf 3,0 Prozent. Gemeinsam mit der DVU hatten sie bei der Europawahl vor fünf Jahren noch rund sieben Prozent der Stimmen eingefahren. Die DVU kandidierte nicht wieder, und die NPD blieb diesmal mit 0,3 % bedeutungslos.

Von den knapp 9.000 erstmals wahlberechtigten EU-AusländerInnen hatten sich in Bremen nur 650 in die Wahllisten eintragen lassen. Die große Mehrheit wollte offenbar die Stimme lieber im Heimatland abgeben. Oder sie hatte aufgrund des Poststreiks erst gar keine Wahlunterlagen erhalten. So klagte gestern der in der Statt-Partei aktive EU-Ausländer Manuel Carneiro darüber, daß er sich bereits am 26. April zur Wahl angemeldet, bis zum Wahltag allerdings keinen Berechtigungsschein bekommen habe. Ase

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