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Super-Rudi oder Kohl-Verschnitt für Arme Von Mathias Bröckers

Da haben sich die roten Strolche aber einen Satz heißer Ohren geholt: gerade mal 31 Prozent bei der Euro-Wahl – kein Wunder, daß der dicke Oberförster strahlt wie zwei Pfannekuchen.

Selbst die Amigos im tiefen Bayern haben ein Ergebnis hingelegt, das auch dem alten Abgreifer Strauß zu aller Ehre gereicht hätte – und noch in den östlichen Kommunen, wo sich die CDU mit einem Skandal-Feuerwerk sondergleichen selbst ins Abseits manövrierte, liegt sie nach der Wahl weiter vorn.

Warum das so ist, darüber muß man nicht lange rätseln, auch wenn sich Günter „Ich-weiß-nicht-was- soll-es“ Verheugen noch so enigmatisch an der Brille kratzt: Wenn als Alternative nur „Birne light“ zur Verfügung steht, zieht im Zweifel eben doch der echte Kohl. Daß Scharping mit dem Charisma einer nassen Nudel ausgestattet ist, dieses Manko allein kann das Debakel der SPD nicht erklären – eine fehlende persönliche Ausstrahlung wäre wettzumachen gewesen mit einem bissigen Oppositionsprogramm. Wer aber statt Zähne zu zeigen und „al dente“ zu reden, so schlaff und labberig daherargumentiert wie der SPD- Chef, ist mit 31 Prozent der Stimmen noch bestens bedient. Und doch muß für die Sozis noch nicht aller Tage Abend sein – genauso wie der Vatikan am Wochenende jetzt plötzlich und über Nacht der Geburtenkontrolle zugestimmt hat (ein entsprechender Text der päpstlichen Akademie der Wissenschaften trug das päpstliche Siegel, das heißt, es wurde vom Papst gelesen und autorisiert), könnte die SPD noch rechtzeitig vor der entscheidenden Wahl im Oktober einen radikalen Kurswechsel vollziehen. Als Wahlkampfberater von Scharping hätte man ihm noch in der Euro-Wahlnacht eine Zwangsrasur verordnen müssen: Gesicht zeigen statt Gesichtsmatratze, weg vom anbiedernden Kohl-Ping, hin zum echten Herausforderer.

Das Kostüm, das ein solcher, von der meckernden Ziege zum fightenden Super-Rudi gewandelter Herausforderer zu tragen hätte, blinkt in SPD-Rosa, PDS-Rot und Öko-Grün. Das gute Abschneiden sowohl der Grünen als auch der PDS zeigt, daß scharfe Opposition zum dumpfen Kohlschen „Weiter so“ durchaus mehrheitsfähig ist. Insofern darf sich der dicke Kanzler nicht zu früh freuen – wenn ein vatikanartiger Ruck durch die SPD geht und Scharping endlich Politik ohne Kondom macht, könnte im Herbst glatt eine ökosoziale Reformkoalition geboren werden. Als Vater einer solchen Wende hätte er eine Chance, als Kohl-Verschnitt für Arme kann er nur verlieren. Und das wäre dann doch mehr als bedauerlich. Denn was kommt nach unserem Majestix aus Oggersheim, an dessen joviale Regentschaft sich das Land so gut gewöhnt hat, daß man ihn es glatt noch mal vier Jahre machen lassen würde? Hinter dem Pfälzer Riesen agiert ein so grauenhaft abgehalftertes Kabinett, daß selbst die Kanzlerpracht nicht darüber hinwegtäuschen kann. Eben diese Figuren und ihre katastrophal ideenlose Politik stehen zur Wiederwahl an – und nicht der freundliche Kanzler, der nur gewählt wird, um zurückzutreten.

Seine Ära ist beendet, und außer ihm hat die CDU/FDP-Koalition nichts zu bieten. Ideale Konstellationen für jeden Herausforderer – wenn er denn bereit ist, aus der Deckung zu kommen.

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