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Bankrott der Zivilisation

„Die letzten Tage der Menschheit“ – Eine Ausstellung mit Gemälden und Fotografien im Alten Museum zu Berlin zeigt nicht die Geschichte des Ersten Weltkriegs, sondern die Geschichte seiner Präsentation  ■ Von Brigitte Werneburg

Der Erste Weltkrieg, das war in den Augen der Zeitgenossen der große Zivilisationsbruch, in dem das bürgerliche 19. Jahrhundert endgültig verabschiedet wurde und in dem sich, mit der siegreichen russischen Oktoberrevolution, die Moderne des 20. Jahrhunderts ihre Bahn brach. Es war die große Zäsur, die die Welt in ein Vorher und in ein Nachher zertrennte; ein Krieg, der in seinen vier Jahren Dauer rund dreizehn Millionen Tote forderte und auch die Wahrnehmung und Erinnerung des Krieges selbst in eine radikal neue Erfahrung überführte. „Die letzten Tage der Menschheit“, wie die Ausstellung über die „Bilder des Ersten Weltkrieges“ nach Karl Kraus betitelt ist, die im Alten Museum eröffnet hat, waren angebrochen. Denn, darin waren sich so unterschiedliche Denker wie Walter Benjamin und Ernst Jünger einig, dem Weltkrieg waren nicht mehr Menschen, die ihm widerstanden, sondern nur noch Maschinen, die ihn aufzeichneten, gewachsen.

Doch bevor dies Erfahrung werden sollte, hatte eine europäische Avantgarde geglaubt den Krieg verherrlichen zu müssen, „diese einzige Hygiene der Welt“, wie Marinetti in seinem berühmt-berüchtigten Ersten Futurischen Manifest am 20. Februar 1911 im Figaro verlautbart hatte. Der englische Maler Christopher Nevinson, treuer Anhänger Marinettis, meinte noch 1915, daß der Krieg „eine heftige Aufforderung zum Futurismus“ sei. Doch in seinem Gemälde aus dem gleichen Jahr, „Das Maschinengewehr“, ist dieser futuristische Übermut einer sachlichen, ernüchterten Darstellungsweise gewichen.

Eine solche Entwicklung aufzuzeigen beziehungsweise überhaupt die Reaktion der „innovativen Maler, Bildhauer und Graphiker“ auf den Krieg anhand ihrer Werke auf internationaler Ebene zusammenzutragen und zu untersuchen war die ursprüngliche Idee des Initiators der Ausstellung, des Kunstkritikers der London Times, Richard Cork. In der Zusammenarbeit zwischen den Londoner Institutionen Barbican Art Gallery und Imperial War Museum, dem Deutschen Historischen Museum und den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz wurde dieser Aspekt der Avantgardekunst in der Berliner Ausstellung um die Bilder der populären Medien und die Architektur der Gefallenendenkmale in der Nachkriegszeit erweitert. Der Gedanke, eine Kunstgeschichte des Ersten Weltkriegs in seine Mediengeschichte zu überführen, ist folgerichtig nicht nur in Hinblick auf den Krieg, der in einem bis dahin kaum gekannten Maße Propagandakrieg war und auch damit seine „totale“ Dimension erlangte, sondern auch in Hinblick auf die bildenden Künste, die sich fortan in Auseinandersetzung mit den modernen visuellen Medientechniken profilieren mußten.

Für das traditionelle Genre der Schlachtenmalerei war schon im amerikanischen Bürgerkrieg oder im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 die Fotografie als die zukünftige Konkurrenz erkennbar geworden. Da die Aufgabe der Kriegsmalerei auch im Ersten Weltkrieg nicht darin lag, im eigentlichen Sinne Propaganda herzustellen, sondern heroisch übersteigerte Ausdrucksformen des Kampfes zu finden, die gleichzeitig Treue zum Erlebten und Gesehenen dokumentieren sollten, scheint ihre Hängung im Kontext der Propagandaplakate, die für Kriegsanleihen, den Kriegseintritt Amerikas und den Eintritt in die Armee werben, gleich am Beginn der Ausstellungstour nicht ganz einleuchtend. Besser wäre sie zwischen Fotografie und Avantgardekunst plaziert, weil einmal schlagend verdeutlicht wäre, daß sie angesichts des Erstarrens der Front zum Stellungskrieg medial schlicht nicht mehr hinreichen konnte: Zwei Luftaufnahmen des Fort Douaumont 1916, eines vor, das andere nach der Offensive von Verdun erstellt, zeigen, daß es dann einfach nichts mehr zu sehen gab. Zum anderen, weil viele der Avantgardekünstler wie etwa Egon Schiele zu Beginn des Krieges noch glaubten, als offizieller Kriegs- und Schlachtenmaler „Kunstwerke von höchster Wichtigkeit über unseren Krieg hervorbringen“ zu können. Nicht als Schlachtenmaler angenommen, fertigte er schließlich unaufdringliche Skizzen der russischen Kriegsgefangenen an, die er zu bewachen hatte. „Bilder für den Sieg“ waren das nicht, wie die Plakate, die unter diesem Titel im Ausstellungskatalog untersucht werden.

Bei den Plakaten, Bilderbögen und Postkarten zeigt der internationale Vergleich, daß der Kampf für die gerechte Sache, den man auf jeder Seite führen zu müssen glaubte, visuell zu national deutlich differenzierbaren medialen Vorgehensweisen und Schwerpunkten führte. Das Pathos der amerikanischen Plakate, auf denen Uncle Sam, vor allem aber hübsche Girls den patriotischen Amerikaner aufrufen, in die Armee einzutreten, ist einerseits eher cool, wie auch das Plakat für eine Kriegsanleihe: „Shure! We'll Finish the Job.“ Andererseits wurde gerade auf Plakaten und in Filmen ein extremes Stereotyp des Feindes entworfen: „Hun or Home?“ war die Alternative. In vielen Variationen ein weltweiter Propagandaschlager von überzeitlicher Dauer, erinnert man sich etwa der „Freiheit oder Sozialismus“-Wahlplakate der frühen 80er Jahre.

Daß es in dem Kampf gegen Unterdrückung und preußischen Militarismus, für Freiheit und Demokratie vor allem auch gegen den mordlüsternen Barbaren und Hunnen geht, der Frauen schändet und Kinder schlachtet, daran ließen auch die französischen und italienischen Bilderbögen und Postkarten keine Zweifel. Im Stile solcher populärer Bilderbögen war denkwürdigerweise ausgerechnet Kasimir Malewitschs und Wladimir Majakowskis künstlerisches Kriegsengagement angelegt. Im offiziellen Auftrag und mit sichtlichem patriotischem Elan verspotteten die lockeren Texte den deutsch-österreichischen Gegner, während die bunten Bilder einen lustigen Krieg der Bäuerinnen zeigten, die die Pickelhaubenträger mit der Mistgabel aufspießen. Den Deutschen selbst verbot augenscheinlich ein Ehrenkodex, aber auch eine gewisse anmaßende Naivität die Produktion harter propagandistischer Feindbilder. Auf Plakaten mit Statistiken im Stil der Industriewerbung versuchte man anhand von Bildungsaufwendungen zu beweisen, daß man keineswegs barbarisch und kriegslüstern sei. Sehr spät erst erkannte man die Notwendigkeit, die Kriegsanstrengungen mit Werbung für die eigenen hehren Motive und der Denunziation der gegnerischen der Öffentlichkeit gewissermaßen „verkaufen“ zu müssen.

Illustrierten-Fotografie und Wochenschau-Film kennzeichnen weniger stereotype Feindbilder als den Versuch, von den tatsächlichen Schrecken des (Graben-)

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Krieges sowenig wie möglich zu zeigen. Die Toten waren immer die anderen. Trotzdem liefern sie, wie vor allem auch die Amateuraufnahmen der Soldaten selbst, die interessantesten und umfassendsten Dokumente des Krieges. Die Fotografie wurde denn auch vom Weltkriegsteilnehmer Ernst Jünger geradezu als das einzig adäquate Medium der Kriegsdokumentation betrachtet, weil sie „außerhalb der Zone der Empfindsamkeit“ steht. „Sie hält ebensowohl die Kugel im Fluge fest wie den Menschen im Augenblicke, in dem er von einer Explosion zerrissen wird. Dies aber ist die uns eigentümliche Weise zu sehen; und die Photographie ist nichts anderes als ein Werkzeug dieser, unserer Eigenschaft.“

Die Maler waren nicht dieses technische, „unverletzliche Auge“ und wurden auch als hartgesottene Futuristen irgendwann einmal von der Zone der Empfindsamkeit eingeholt, wie Giacomo Balla, der 1918 schließlich metaphorische „Verstümmelte Bäume“ malte. Insofern macht es Sinn, daß Richard Cork in seinem Aufsatz über die Kunst der Avantgarde und den Ersten Weltkrieg, im Englischen „A Bitter Truth“ betitelt, die Künstler und ihre Bilder vom Kriege in je individueller, biographischer Form vorstellt; in engagiert vorgetragenen Fallgeschichten ihre Begeisterung, ihre Schocks, Ernüchterungen und ihre Verzweiflung nachzeichnet. „The Great War And Modern Memory“ hieß eine berühmte Studie von Paul Fussell 1975, die anhand literarischer Zeugnisse nahelegte, den Ersten Weltkrieg als deutliche ästhetische Epochenwende zu betrachten. Die ästhetische Innovation der internationalen Maler-Avantgarde fand allerdings schon einige Zeit vor dem Krieg statt. Daher betont „A Bitter Truth“ als visuelle Nachlaßverwaltung des „Modern Memory“ der Avantgarde von Max Slevogt bis Moholy-Nagy, von Käthe Kollwitz bis Malewitsch oder Marshden Hartley bis John Nash die individuelle, moralisch- kritische Reaktion der Künstler auf den Krieg. Wenn sich etwa Malewitsch, wie es Cork beschreibt, von seinen patriotischen Bilderbogen ungerührt ab- und seinen suprematistischen Experimenten zuwenden konnte, zeigt das nur, wie unwesentlich der Krieg für seine künstlerische Entwicklung war.

Vielleicht wäre es nützlich, grundsätzlicher zu erläutern, inwieweit der Paradigmenwechsel für ein neues Sehen in Aspekten verankert war, die mit denen des Krieges zusammenliefen, wie die Betonung von Maskulinität, die Aufwertung von Technik und naturwissenschaftlichem Experiment und von großstädtischer Urbanität, die aber trotzdem mit dem Phänomen des Krieges weniger identisch waren, als daß sie ihm vorausgingen. Was auch erklärt, warum eigentlich nur Dada eine direkte neue ikonographische Reaktion auf den Krieg war.

Bis 28. August, Bodestraße 1–3, Katalog 54 Mark, im Buchhandel 98 Mark. Begleitendes Filmprogramm im Zeughauskino.

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