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Unterm Strich

Vor Jahren schon hat Tilman Jens sich ärgern müssen über Marcel Reich-Ranicki – als dieser begann, „Autoren aus der ehemaligen DDR nicht nur literarisch, sondern auch moralisch zu disqualifizieren“. So machte Jens sich nach Polen auf, um nach den Gründen für MRRs Engagement zu suchen, geleitet von der Maxime: „Die größten Kritiker der Elche – waren früher selber welche.“ Was er fand, als er die Schriften des Verdächtigen aus den 50er Jahren las, war „ein strikter Apologet der Partei“. Das war vor Jahren.

Nun hat sich weiteres Material gefunden, das über die ideologische Fixierung des jungen MRR wesentlich hinausgeht. Mit Dokumenten aus polnischen Archiven, die am Samstag von der Warschauer Zeitung „Zyczie Warszawy“ veröffentlicht wurden, läßt sich MRRs geheimdienstliche Tätigkeit in den Jahren 1944 bis 1950 belegen. In der „FAZ“ vom Dienstag erklärte Reich-Ranicki über die Nachkriegsjahre: „In dieser Zeit war ich zweimal auf Auslandsposten: Von Januar bis April 1946 in der polnischen Militärmission in Berlin und von Februar 1948 bis Oktober 1949 im Generalkonsulat Polens in London. Kurz nach meiner Rückkehr aus London wurden im Januar 1950 meine Kontakte mit dem Geheimdienst, die ausschließlich das Ausland betrafen, offiziell und endgültig abgeschlossen.“ Gleichzeitig sei er aus dem Auswärtigen Amt entlassen, etwa zwei Wochen inhaftiert und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden wegen „ideologischer Fremdheit“.

Auf die Geheimdiensttätigkeit der Nachkriegsjahre bezieht sich Tilman Jens schwerwiegender Vorwurf, MRR habe sich damals als Erfüllungsgehilfe der polnischen Regierung betätigt und Emigranten zur Rückkehr aus dem Exil bewegt, wo ihnen der Prozeß gemacht wurde – in manchen Fällen sogar mit Folge eines Todesurteils. MRR erklärte diesen Vorwurf für „frei erfunden“. Er habe nie von einem solchen Fall gehört.

Pikant ist an der Sache vor allem, daß MRR zunächst vor laufenden Kameras im „heute-journal“ bestritten hatte, jemals Mitglied des polnischen Geheimdienstes gewesen zu sein. Sehr pikant ist das deswegen, weil dieses ammnestische Loch, in der das Geheimdienst-Engagement verschwindet, so herrlich demjenigen ähnelt, das auch die seinerzeit von unserem Elch arg gescholtene Christa Wolf geplagt hatte.

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