Tarifautonomer Kohl

■ Bundeskanzler Kohl und FDP-Chef Kinkel beim DGB-Bundeskongreß

Berlin (taz/dpa) – Die Rede hätte auch ein SPD-Politiker halten können. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) präsentierte sich gestern vor dem DGB-Bundeskongreß in Berlin als Freund „starker Gewerkschaften“. Vor 600 Delegierten, die am Nachmittag Dieter Schulte von der IG-Metall zum neuen DGB-Chef wählen wollten, würdigte Kohl den verstorbenen DGB-Vorsitzenden Heinz-Werner Meyer. Dessen Nachfolger bot er eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ und ein Spitzentreffen an. Gewerkschaften seien „ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft“, so Kohl. Er sei „ein leidenschaftlicher Verfechter der Tarifautonomie“, soziales Dumping werde es mit ihm nicht geben.

So recht glauben mochte ihm niemand. Einige der Delegierten zeigten ihm rote Karten, vereinzelt waren Pfiffe zu hören. Vertreter der IG Bau Steine Erden forderten auf großen Pappschildern „Hände weg vom Schlechtwettergeld“. Kohl lobte die niedrigen Tarifabschlüsse der diesjährigen Verhandlungsrunden, sie hätten sich am Beschäftigungsziel und den gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernissen orientiert. Er versprach auch mehr Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland zeigte sich der Kanzler zuversichtlich. Mehr als zwei Prozent Wachstum im ersten Vierteljahr 1994 belegten den Aufschwung. Mehr Unmut bekam der ebenfalls sprechende FDP- Chef Klaus Kinkel zu spüren, der sich für konsequente Deregulierung und Privatisierung bespielsweise der Postunternehmen aussprach.

Die Gewerkschafter Hensche, Engelen-Kefer und Zwickel gaben sich selbstkritisch und beklagten den mangelnden Schwung der Gewerkschaftsbewegung. Gleichzeitig warnten sie davor, daß eine Neuauflage der christliberalen Koalition in Bonn auch die Fortsetzung des „Sozialabbaus ohne Wenn und Aber“ bedeuten würde. Barbara Dribbusch