: „Ein Lehrstück in Sachen Demokratie“
■ IG-Metall-Boß Dieter Schulte ohne GegenkandidatIn erwartungsgemäß zum neuen DGB-Chef gewählt / Kanzler Kohl präsentierte sich als Tarifautonomer
Berlin (taz/dpa) – Eine richtige Wahl war es nicht. Dazu fehlte die Auswahl. Dieter Schulte (54), bisher im Vorstand der IG-Metall, war der einzige Kandidat für den DGB-Vorsitz. Er wurde gestern in Berlin mit 437 Jastimmen gegen 110 Neinstimmen zum neuen DGB-Chef gewählt. 18 Stimmen waren ungültig.
Die Aussprache vor der Wahl durch den DGB-Bundeskongreß war denkbar kurz gewesen, nur ein knappes halbes Dutzend Delegierte ergriffen das Wort. Ein Vertreter der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen merkte an, daß „wir beim nächsten Mal zwei bis drei Kandidaten durchaus vertragen können“. Eine Kollegin aus dem Osten erntete Pfiffe, als sie sagte, sie habe „gerade ein Lehrstück in Sachen Demokratie“ erlebt: „Wenn eine große Gewerkschaft sagt ,der isses‘ und es gibt keinen anderen, das kenne ich irgendwoher.“
Eine gewerkschaftliche Fraueninitiative hatte im Vorfeld des Kongresses mehr als 1.100 Unterschriften zur Unterstützung der Kandidatin Ursula Engelen-Kefer gesammelt. Die Vizechefin des DGB hatte jedoch eine Kampfabstimmung gegen den Mann von der größten DGB-Einzelgewerkschaft abgelehnt.
Auf dem Kongreß sprachen auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und FDP-Chef Klaus Kinkel. Kohl präsentierte sich als Freund „starker Gewerkschaften“. Vor den 600 Delegierten würdigte Kohl den verstorbenen DGB-Chef Heinz-Werner Meyer. Dessen Nachfolger bot er „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ und ein Spitzentreffen an. Gewerkschaften seien „ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft“, so Kohl. Er sei „ein leidenschaftlicher Verfechter der Tarifautonomie“, soziales Dumping werde es mit ihm nicht geben. So recht glauben mochte ihm niemand. Einige der Delegierten zeigten ihm rote Karten, vereinzelt waren Pfiffe zu hören. Vertreter der IG Bau Steine Erden forderten „Hände weg vom Schlechtwettergeld“.
Kohl lobte die niedrigen Tarifabschlüsse und versprach einen Aufschwung sowie mehr Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Mehr Unmut bekam Klaus Kinkel zu spüren, der sich für konsequente Deregulierung und Privatisierung aussprach.
Die Gewerkschaftsvorleute Hensche, Engelen-Kefer und Zwickel gaben sich selbstkritisch und beklagten den mangelnden Drive der Bewegung. Gleichzeitig warnten sie davor, daß eine Neuauflage der christlich-liberalen Koalition in Bonn auch die Fortsetzung des „Sozialabbaus ohne Wenn und Aber“ bedeuten würde. Barbara Dribbusch
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