: Nachschlag
■ „Wortbruch“: Vortrag über DDR-Sprache im Podewil
„Was ist der Unterschied zwischen einem amerikanischen und einem sowjetischen Aids-Virus? Das amerikanische ist unheilbar, das sowjetische unbesiegbar!“ – „Was war früher: die Henne oder das Ei? Früher gab es beides!“ – „Ruinen schaffen ohne Waffen – 40 Jahre DDR!“ Solche Formen subversiven Sprachwitzes interessieren den Linguisten Ewald Lang von der Humboldt-Universität mehr als die stereotypen Beispiele, die uns normalerweise zum Thema DDR-Deutsch einfallen: Broiler, Sättigungsbeilage, Plaste und Elaste aus Schkopau. Denn der Ausgangspunkt seines Vortrags „Verführung und Verweigerung – Zum Gebrauch der Sprache in der DDR“, den er in der Reihe „Deutscher Dienstag“ vorgestern im Podewil hielt, war, daß sich hüben und drüben nicht die Sprache an sich unterschieden habe, sondern nur ihr Gebrauch. Es gab keine andere Syntax, keine unterschiedliche Morphologie, selbst die Differenzen im Wortschatz seien geringer als etwa zwischen Deutschland und der Schweiz. Große Unterschiede gab es aber im Stil, in der Wahl, der Häufigkeit und der Kombination der gemeinsam zur Verfügung stehenden Wörter.
Vor allem auch die staatlich gesteuerten Versuche, die Sprache zu normieren, habe hierauf deutlichen Einfluß gehabt, nicht zuletzt die Direktiven der Ministerien an die Medien. (Da mag manchem bei dem Namen „Staatszirkus der DDR“ eine böse Doppeldeutigkeit geschwant haben, ergo erging die Anweisung, die exotischen Tiere in der Arena nur zu umschreiben und nicht beim ordentlichen Namen zu nennen.) Die solcherart offiziell geschnitzten Sprachschablonen verführten in doppelter Hinsicht: Die Oberen hielten sich ebenso daran wie die Untertanen, keine charismatische Rhetorik à la Goebbels erscholl vom realsozialistischen Rednerpult, sondern nur das Einheitsgrau der Bürokratenstanzen, man sang vom Blatt – Vorbild für das Volk. Das signalisierte seine Anpassung durch den gut dosierten Gebrauch von Fahnenwörtern, flaggte Gehorsam mit Klassikerzitaten. Durch das Kaderwelsch aber täuschten sich die Gewaltigen in Wandlitz schließlich selbst über den Ernst der Lage, glaubten sie doch an ihre eigenen Formeln im Echo der Werktätigen. Und das ist das eigentlich Paradoxe: Das Land, das sich überzeugt materialistisch denkend dachte, war zutiefst der Sprachmagie verfallen. Mit Sartre gesagt: „Glauben heißt, die Dinge mit ihren Namen verwechseln.“
Aber man konnte sich jederzeit den Schablonen verweigern, indem man einfach auf die Marx-Zitate im Vorwort verzichtete, die Formeln durch subtile Ausweichmanöver umging oder auch durch den direkten Regelverstoß, wie er in der reichen Witzkultur der DDR zum Ausdruck kam. Der Witz einer Gesellschaft verrät ihre Intimsphäre, meint Lang. Da blitzt das Wesentliche in ein, zwei kurzen Zeilen auf: „Meine Biographie: Mama, Marx, Marienfelde.“ Rüdiger Zill
Die Reihe wird am 21. und 28.6., 20 Uhr, fortgesetzt, im Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte.
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