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Jetzt geht's lo-os, jetzt geht's lo-os!

■ Schwitzende Männer hetzen über grünen Rasen, bejubelt von betrunkenen, bemalten Anhängern. Fußball-WM in den USA: Entgeistert empfängt das Land der Hygienefanatiker den Rest der Welt.

Schwitzende Männer hetzen über grünen Rasen, bejubelt von betrunkenen, bemalten Anhängern. Fußball-WM in den USA: Entgeistert empfängt das Land der Hygienefanatiker den Rest der Welt.

Jetzt geht's lo-os, jetzt geht's lo-os!

Wenn zwei Welten aufeinanderprallen, dann kann Sachschaden entstehen. Das jedenfalls befürchtet die Neue Welt, wenn die Alte in den nächsten vier Wochen ihre Sportstadien heimsucht, um die Fußballweltmeisterschaft zu verfolgen. Unheimlich sind den amerikanischen Organisatoren dabei weniger die Akteure auf dem Spielfeld. Die rufen im Land der Hygienefanatiker höchstens Erstaunen hervor, wenn sie nach Spielende das durchgeschwitzte Trikot des Gegners überziehen. Unheimlich ist den Amerikanern vielmehr die Spezies der Fans. Unberechenbare Massen, die sich mit bemalten Gesichtern und erhöhtem Alkoholspiegel in Ekstase schunkeln können; halbnackt Samba tanzen; ihre Helden bespucken und bedrohen, wenn sie verlieren; sie küssen und in den Himmel heben, wenn sie gewinnen. Sportfans, die sich mit der Polizei und den gegnerischen Anhängern Schlachten liefern, die in Katastrophen münden können.

So mögen die amerikanischen Polizisten in den Stadien von Chicago, Washington, Orlando oder Los Angeles vielleicht nicht wissen, wer Roberto Baggio, Thomas Dooley oder Diego Maradona sind. Aber sie wissen, was sich hinter Namen wie Heysel oder Sheffield verbirgt: Die Attacken britischer Fans des FC Liverpool gegen Anhänger von Juventus Turin im Europacupfinale 1985 in Brüssel. Fazit: 39 Tote, 600 Verletzte. Oder die Alkoholorgie mit anschließender Massenpanik 1989 im Hillsborough-Stadion in Sheffield. Fazit: 96 Tote, 200 Verletzte.

Freundlicherweise nahm die englische Nationalmannschaft den amerikanischen Organisatoren alle Sorgen um britische Hooligans ab, indem sie schon in der Qualifikationsrunde ausschied. Trotzdem sind die Briten dabei: in Gestalt des National Crime Intelligence Service, der Daten über 5.500 notorisch bekannte Hooligans gesammelt hat und bei der WM in den USA Amtshilfe leisten wird.

Darüber hinaus sind die Sicherheitsvorkehrungen in einigen Stadien extrem streng: Im Washingtoner Robert-F.-Kennedy-Stadion, in dem unter anderem Italien, Mexiko und die Niederlande antreten, wurde das Spielfeld abgezäunt. Da halfen auch die Proteste von FIFA-Generalsekretär Sepp Blatter nicht, der diese Einrichtung erstens für nicht sehr telegen hält und zweitens der Meinung ist, daß man nur „Gefangene und Tiere“ einzäunen darf, aber keine Fußballfans.

Im Rose-Bowl-Stadion in Los Angeles, Spielort des Finales am 17. Juli, darf kein Alkohol ausgeschenkt werden. Im Giants-Stadion in New Jersey müssen sich die irischen und italienischen Fans beim Spiel ihrer Mannschaften am morgigen Samstag mit zwei Bechern Bier pro Person in der Halbzeitpause bescheiden – eine vor allem für die Iren kaum hinnehmbare Einschränkung.

In Boston, Chicago und Los Angeles werden Zuschauer am Eingang durchsucht, im Stanford-Stadion bei San Francisco überwacht die Polizei die Ränge, Gänge und Parkplätze per Videokamera. Am liebsten hätte Alan Rothenberg, Präsident der United States Soccer Federation (USSF), den Bierausschank aus allen Stadien verbannt, doch vermutlich hätte das zu Mißstimmungen bei einem der Hauptsponsoren der Weltmeisterschaft geführt: die Bierbrauerei Anheuser-Busch.

Ein weiterer Konflikt bahnte sich an, als die WM-Organisatoren von Pressemitgliedern eine Einverständniserklärung verlangten, wonach das Akkreditierungsbüro sämtliche polizeilichen Daten der Journalisten einsehen darf. „Schutz vor Terroristen“, lautete die Begründung. Unter anderem die New York Times, USA Today und die Associated Press drohten, unter diesen Bedingungen das Fußballereignis mit keiner Zeile zu würdigen. Die USSF gab nach.

Nun wirkt die angstvolle Erwartung des europäischen oder lateinamerikanischen Fußballfans durch die amerikanischen WM-Organisatoren manchmal ein wenig scheinheilig. Denn Randale nach einem Sportereignis gibt es auch in der Neuen Welt. Zuletzt am Mittwoch im kanadischen Vancouver, dessen Eishockeyteam gerade das Finale um den Stanley Cup gegen die New York Rangers verloren hatte. Fans zertrümmerten Fensterscheiben, plünderten Geschäfte. Ein Jugendlicher liegt mit lebensgefährlichen Verletzungen durch Gummigeschosse im Krankenhaus. Hätten die Rangers verloren, wäre ähnliches auch in New York denkbar gewesen, wo die Eishockeyfans es im Angesicht massiver Polizeipräsenz bei einer Sauf- und Jubelfeier auf den Straßen beließen. Krawallerfahrung mit Sportfans haben Polizisten in Pittsburgh ebenso wie in Dallas, wo die Siegesparade des heimischen Footballteams, der Dallas Cowboys, in einer Straßenschlacht zwischen Teenagern endete.

Doch im Vergleich zu den allwöchentlichen Szenen in den Fankurven europäischer Stadien sind solche Vorfälle in den USA Ausnahmeerscheinungen. Hier geht man ins Baseballstadion oder in die Basketballhalle, um gut unterhalten zu werden, die Familie zum Picknick aufzuführen oder auch, um Michael Jackson in der Pause des Superbowl zu sehen. Aber man tätowiert sich keine Vereinsinsignien auf den Arm, man wirft keine Rauchbomben aufs Spielfeld, man beschimpft nicht die Mutter des Gegenspielers.

Jene Millionen Amerikaner, die sich für Fußball kein Stück interessieren, können sich in den nächsten vier Wochen damit trösten, daß ihnen der Rest der Welt ein interessantes Alternativprogramm anbietet: „Soccerfans“. Andrea Böhm, Washington

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