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Kiezanschluß gesucht

■ Lesbennetzwerke in den Bezirken: Politik von unten - oder "nur" Stammtische? / Nestwärme statt Unverbindlichkeit

Der Umzug von Kreuzberg nach Moabit katapultierte Andrea Bolton in harte Realitäten zurück. „Ich hatte vorher nie Probleme, offen als Lesbe aufzutreten“, erklärt sie. Im neuen Stadtteil sah das anders aus – die Leute auf der Straße starrten, pöbelten. Andere Lesben schienen weit und breit nicht in Sicht. Offen lesbisch zu leben erforderte ungleich mehr Mut und Provokationskraft.

Genau dieser Situation wollen die Lesbennetzwerke abhelfen. Vor drei Jahren erstmals in Charlottenburg ins Leben gerufen, gibt es solche Foren mittlerweile in zahlreichen Ost- und Westbezirken. So viel Bedürfnis nach Kiezanschluß überraschte selbst die Initiatorin, Brigitte Böck: „Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.“ Die Interessenlagen der hinzukommenden Frauen sind dabei denkbar unterschiedlich – von Beziehungssuche bis zu kommunalpolitischer Arbeit ist alles dabei. Brigitte Böck liegt gerade diese Vielfalt am Herzen. „Einziges Kriterium ist, ob eine Frau im Bezirk wohnt. Ansonsten sollte jede Art von Auswählen, auch ein Schließen der Gruppe ab einer bestimmten Größe, vermieden werden.“ Mit ihrer Netzwerkarbeit habe sie auch der Rigidität der Berliner Lesbenszene etwas entgegensetzen wollen. Brigitte Böck: „Das Netzwerk soll Lesben jeden Alters, mit unterschiedlichem beruflichen oder sozialen Hintergrund, offen oder versteckt lebend, zusammenbringen. Ziel ist, daß jede hier Frauen finden kann, mit denen gemeinsam sie das tut, woran ihr liegt.“

Auf diese Weise gründeten sich Untergruppen: ein inzwischen überbezirklicher Chor, eine Theater-, eine Spielegruppe und Gesprächskreise. Andere Frauen haben sich gemeinsam der AG Kommunale Lesben- und Schwulenpolitik im Rathaus Charlottenburg angeschlossen.

Vokabeln für die soziale Seite des Ganzen sind nicht leicht zu finden. Worte wie „Nest“, „Familienersatz“ fallen – nicht unwidersprochen. Gemeint ist ein sozialer Zusammenhang, der über die üblichen Berliner Unverbindlichkeiten ein deutliches Stück hinausgeht. Mal spontan mit einer von nebenan ins Kino zu gehen, im Urlaub die Blumenpflege problemlos klar zu machen oder Gesprächspartnerinnen in der Nähe zu wissen sind häufige Wünsche. Andere Frauen spinnen die Utopie weiter: Krankheit, Alter, persönliche Krisenzeiten mit Unterstützung aus der direkten Umgebung zu bewältigen.

Einmal im Monat tagt in den meisten Bezirken ein Plenum. Dort werden Informationen über politische und andere Aktionen weitergegeben oder Vorschläge für gemeinsame Aktivitäten eingebracht. Alle zwei Monate tauscht sich ein überregionales Plenum aus. In ihren Stadtteilen suchen die Frauen zudem regelmäßig Restaurants auf. Daß Kellner sich da schon mal schockiert hinter den Tresen flüchten, ist beabsichtigter Nebeneffekt. „Wenn ich alleine mit meiner Freundin dasitze, wage ich viel weniger. Aber so können wir zeigen, wie viele wir sind“, sagt Andrea.

Die üblichen Projektschwierigkeiten lassen auch die betont offen konzipierten Netzwerke nicht verschont. Die vielen Bedürfnisse sind schwer unter einen Hut bringen. Wieviel Lebensqualität bringt Singen, Spazierengehen, über Alltagsprobleme zu reden, wieviel eine dezidiert politisch engagierte Pressure-group? Nach der Idealvorstellung sollten all diese Ansätze nebeneinander Platz haben und dennoch wird heftig darüber diskutiert.

Ungeachtet solcher Schwierigkeiten sind die Lesbennetzwerke im Wachsen begriffen – und damit eine neue Art der Lesbenpolitik von unten: Dort, wo frau lebt, sichtbar zu sein, Rechte einzufordern und einen offenen, aber verläßlichen Zusammenhang zu schaffen. Susanne Billig

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