: Die Lust an der Schnitzeljagd
■ Eine Odyssee mit Handzetteln: das lesbische Nachtleben in kleinen Karomustern / Begegnungen zwischen Lesben und Schwulen geraten zum Härtetest
Beginnen wir unseren Abend in Kreuzberg, wo sich nach dem Tode der unvergleichlichen „Oranienbar“ die lesbischen Alkoholikerinnen nun in der verrauchten, engen Plüschatmosphäre der im Jargon auch zärtlich „Doses“ genannten Bar treffen. Die politisch korrekteren unter uns finden sich im „Café Anal“ ein und warten dafür auch gerne ihre 20 Minuten auf ein warmes Bier. Nach soviel gepflegter Gastlichkeit gelüstet es nach Tanz und Anbaggern. Gehen wir gleich in Berlins größte Lesben-Disco, das „Lipstick“. Für die Lesbe ab 15 wird hier immerhin wenig geboten und viel Geld verlangt. Wenigstens wird hier der Discobesuch noch ernst genommen und mit entsprechendem Gesichtsausdruck und Gehabe auf jeden Fall verhindert, daß einen irgendeine ansprechen könnte. Wir gehen ja schließlich nicht zum Vergnügen aus.
Die Reifere unter uns mag vielleicht etwas darunter leiden, daß viele der angestrengten Besucherinnen des „Lipstick“ ihre Töchter sein könnten und wählt die Alternative der immerhin ältesten Lesben-Disco der Stadt, das „Pour Elle“. Sollten Howard Carpendale und zur Not auch vor der Tür ausgetragene Dramen doch zuviel für unsere Nerven sein, könnten wir zu einer kleine Stärkung ins Frauenrestaurant „Golden Girls“ gehen.
Prima, so ein Restaurant nur für Frauen, endlich eine Möglichkeit, Lesben zu treffen, die den Sprung ins alltägliche Berufsleben voll geschafft haben. Die Langzeitstudentin blickt neidisch auf die teuren Rasseschoßhunde und wartet dafür gerne anderthalb Stunden auf eine kleine Portion überteuertes Essen. So befriedigt suchen wir die „Begine“ auf. Aber wir sind schließlich in der Großstadt, und deshalb hat diese schon um Mitternacht geschlossen. Kein Problem, denn es gibt ja mittlerweile wieder das gute, alte „Dinelo“. Nachdem hier das aus unseren Elternhäusern so liebgewonne Ikea-Ambiente endlich auch den Schwulen zugänglich gemacht werden sollte, die Lesben daraufhin wegblieben, ist jetzt die Welt wieder in Ordnung: Auf meinen angestammten Kiefernholzhocker kommt mir keine Schwuchtel, leider auch sonst niemand.
Eine neue Nacht, ein neues Glück, der Osten lockt und damit die „Neue Busche“. Leider wird hier zwar gerne Geld von Lesben genommen, ansonsten sind sie für manche Herren schon eine Zumutung. Zur Not muß mann schon mal handgreiflich werden und hat im Personal im Zweifelsfalle immer Verbündete, die eher die Lesben rausschmeißen als sexistische, brutale, schwule Macker.
Doch wir haben Glück, denn es ist der drittletzte Mittwoch eines ungeraden Monats, und gnädig wie viele Discobesitzer sind, dürfen die Lesben einmal die Woche am schlechtbesuchtesten Tag die Räume nutzen. Leider haben wir wohl den falschen Handzettel und stehen vor der „Turbine“ statt des „Sox“, oder war es doch jeden zweiten Freitag im „Subversiv“?
In einer nahegelegenen netten HeteroKneipe sinniere ich darüber, warum die Sonderveranstaltungen in ansonsten nicht gerade lesbischen Lokalitäten immer noch die bestbesuchten sind. Zum Beispiel die Parties im „SO 36“, das sind die mit dem Kleinkunstprogramm aus Oberursel. Trotzdem sind hier doppelt so viele Lesben wie Schwule. Wahrscheinlich ist es die Lust an der Schnitzeljagd von Kneipe zu Kneipe, nach neuen Aushängen und Handzetteln zu hetzen. Das gibt einem Abend anscheinend mehr Sinn als irgendwo, zunehmend betrunkener, vergeblich auf ein Abenteuer zu warten, denke ich, während ich vorm Fernseher langsam einschlafe. Manuela Kay
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