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Blatt für den Nierentisch

Eine Zeitschrift so eindeutig wie erst wieder in den 90ern  ■ Von Uta Bollow

Die Lektüre der „Monatszeitschrift für Frauenfreundschaft“ * aus Hamburg verhöhnt jedes Fünfziger-Jahre-Klischee von perlonbestrumpfter Prüderie dieser Zeit. Auf den Umschlagseiten – allerdings denen zum Heftinneren hin – räkeln sich nackte Frauenleiber, hingegossen in wartender Hingabe oder frech aus dem noch zerwühlten Doppelbett aufspringend – Bilder mit einer begehrlichen Eindeutigkeit, an die sich frauenliebende Damen erst wieder zu Beginn der neunziger Jahre heranwagten.

Die Leserinnen von Wir Freundinnen waren begeistert. Entsprechend dem allgemeinen Plauderton der Publikation bedankten sie sich artig in den „Briefen an Charlott“ für die „geschmackvollen Frauenakte“. Ach ja, Charlott. Charlott schimmert als gute Dame, als mitfühlende Schwester und mütterliche Ratgeberin durch jedes Heft – vom Frühjahr 1951 bis zum fünften im Januar 1952, dann wird das Blatt eingestellt.

Charlott spricht in dem jeweiligen Editorial, taucht im Titel über der Leserinnenseite auf und vor allem in der Rubrik „Charlott spricht“. Hier erscheinen die wesentlichen Tips für die modebewußten „Freundinnen“, wie sich die Mädels damals liebevoll und auch konspirativ nannten. Ein gehütetes, aber für Eingeweihte auch sofort erkennbares Geheimnis, wenn die Betreffende noch den kleinen Wink in Form der „Freundschaftsnadel“ am Revers gab: Jutta Mörr teilte ihre Freude über den Erfolg dieses pieksenden Erkennungszeichens den Leserinnen in der Briefspalte mit.

Sie war in Hamburg noch im letzten Moment in eine bereits überfüllte U-Bahn gesprungen, dort stand ein Herr für sie auf, bot ihr seinen Platz an und fügte seinem Angebot, nach einem Blick auf ihre Nadel, die leise gesprochenen Worte „...liebe Freundin“ hinzu, sie bedankte sich selbstredend mit „lieber Freund“. Genauso still wie die in der U-Bahn gemurmelten Erkennungsworte beginnt die Liebe zwischen Otti und Christel, von der die Leserinnen auf der gleichen Seite erfahren: Christel ließ die Zeitschrift Wir Freundinnen heimlich in die Handtasche der Angebeteten gleiten, schmachtete daraufhin noch einige Wochen, bis sie in der eigenen Handtasche die nächste Ausgabe der Zeitschrift fand und der Verehrten beim nächsten Wiedersehen lachend in die Arme sank.

Ja, und Charlott spricht und gibt wichtige Lebenshilfe: Sie empfiehlt den kußechten Lippenstift, der jeweiligen Gesichtsform die passenden Löckchen und unseren anderen Freundinnen das strenge Kostüm: „Besonders apart und fesch ist das Sporthemd mit doppelt geknöpfter Manchette und zwei aufgesetzten Brusttaschen. Bist du etwas korpulent, dann nur eine Brusttasche.“ So einfach ist das.

Bei all dem Plauderton läßt sich diese Monatszeitschrift trotzdem nicht als unpolitische Gazette abtun – was bei der Freude über die Herz- und Schmerz-Geschichtchen, die immer zwischen triefendstem Kitsch und fast unerträglicher Ernsthaftigkeit hin- und herschwanken, durchaus zu verschmerzen wäre. Schließlich werden mit diesen Ergüssen tiefste Sehnsüchte nach Trivialität befriedigt, die außerdem das „Anderssein“ lesbischer Liebe für die Leserinnen als etwas Positives darstellen. Ausflüge in die Politik und auch Geschichte gab es jedenfalls: ein Artikel über Frauen in der Revolution von 1848; Auszüge aus „Mütter und Amazonen“ von Sir Galahad und vor allem die Unterstützung der Kampagne gegen „Herrn Gatzweiler“, ein Amtsgerichtsrat aus Bonn, der „wie in den schlimmsten Tagen des Nazi-Terrors die Welt zum Massenmord an allen Homosexuellen“ aufrufe.

Kleine gefühlvolle Erzählungen füllen die meisten Seiten der Zeitung – wer will sich anmaßen, über Gertis Liebe zu Helga zu urteilen, wenn Helga ihre Arme um Gerti legt und ob deren Geburtstagsgeschenk – ihr erstes Buch – anfängt zu weinen? Die Frauen reden über ihr „Anderssein“, lesen von ihrer „besonderen“ Liebe: „Es ist etwas von einem Geheimnis in uns, es umwittert uns ein Etwas, was wir selbst oft nicht ergründen können.“ Und sie wollen es auch gar nicht tief ergründen. Sie wollen es leben, sie wollen lieben und davon lesen. Sei es in Mini-Coming-out- Geschichten, wenn Gudrun „es“ ihrer Mutter erzählt und die antwortet: „Kind, alle Liebe kommt von Gott, ganz gleich, welcher Art sie ist.“ Oder in der Inseratenspalte, in der die Akademikerehefrau einen Briefwechsel mit kultivierter Dame sucht, ein Freund-Jurist ein gutaussehendes Fräulein für die Kameradschaftsehe und eine schlanke Blondine eine guterzogene Dame. Das für die meisten eben trotz der teilweise sehr frechen Aufmachung für notwendig erachtete Doppelleben hatte in Wir Freundinnen genauso seinen Platz wie vorsichtige Hinweise auf die Notwendigkeit eines lesbischen Selbstbewußtseins. Der Anspruch des ersten Editorials wurde eingelöst: „Dir, unsterbliche Sappho, will ich dienen.“ Konsequent.

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