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Ein Hafen für die Matrosen

■ Achtzehn schwule Autoren erfinden sich eine Heimat

Da bauen sich zwei ein Nest, im Neubau, und holen sich die Welt herein: Ein Affenbrotbaum im Flur, Teppiche aus der Mongolei im Wohnzimmer und auf dem Tisch ein bulgarischer Kelim. Die Wohnung liegt – wo sonst? – in Ostberlin. Ein anderer zeigt dem Geliebten seine Stadt, die mit dem Hafen und Matrosen und der Elbe drumherum. Und ein Dritter durchschreitet sein Leben wie all die Räume, in denen er heimisch war, von der Dreizimmerwohnung über die Traumwohnung in die Wohnmaschine.

So verschieden die Dekorationen, „Heimat“ steht darüber bei allen gleich. Die Anthologie „Ein Ort, überall – 18 Erfindungen von Heimat“ macht sich auf die Suche nach einem malträtierten Begriff und sucht Sinn darin zu finden aus schwuler Sicht. „Schwule Persönlichkeiten“, schreibt der Herausgeber Frank Heibert in seinem vorzüglichen Vorwort, sind dazu eingeladen und lassen ihren Assoziationen freien Lauf.

Daß es für Schwule keine Heimat gibt, wie der Heimatfilm sie zeigt oder das Heimatlied sie besingt, keine Familie wie Kanzler Kohl sie meint, und keine Gemeinde wie die der Zeugen Jehovas, setzt das Vorwort zu Recht voraus. So muß die aparte Kreatur, aus allen Nestern geworfen, sich dieses begehrte Stückchen Geborgenheit neu erfinden.

Die Ergebnisse sind überraschend: Kaum einer löst die Vorgabe ein, was herauskommt, sind Antworten, die der Rest der Welt auch geben kann, so individuell verschieden wie allüberall. Da wird kaum etwas „neu erfunden“, dafür aber direkt ins Innere geschaut oder just auf das, was einen gerade mal so umgibt.

Heimat ist dann da, wo der Geliebte ist oder die Erinnerung, wo das Begehren sitzt oder in Hollywood, in der Wohnung, im Kiez, in der Stadt, in der Sprache oder im Traum von einer besseren Welt. Da muß keiner schwul sein, um derlei Definitionen zu geben.

Nur einer, der Schriftsteller Detlev Meyer, wagt sich vor und traut sich, das eigene Kleine für mehr zu nehmen, und ist nicht nur der Mittelpunkt der Welt: „Nein, wir leben nicht hinter gegnerischen Linien, leben nicht im Feindesland, aber seitdem wir wissen, wer wir sind (und wer die anderen), leben wir in der Fremde.“ Dabei soll es nicht bleiben: „Irgendwann nämlich“ – und man sieht den Autor grinsen – „wird ein Schiff mit hundertfünfundsiebzig Segeln kommen und uns bringen zu unseresgleichen. Irgendwann werden wir Einheimische sein und nicht mehr Exilanten.“

Ansonsten schreibt in dem Buch keiner so schön wie Meyer. Einige versuchen sich literarisch und vergessen die Literatur, andere können besser singen als schreiben, und wieder andere sind ohnehin nur mit von der Partie for reasons of namedropping, ansonsten ohne Belang.

Doch insgesamt bleibt das Buch – den schwulenideologischen Gestus mal abgezogen – eine interessante Lektüre: Wir lernen Menschen kennen, die sich verstecken oder hervortun, wir erfahren, warum sie weinen, wen sie lieben, wie ihre Wohnung ausschaut oder ihre Träume. Das ist schon eine ganze Menge. Daß sie allesamt schwul sind, wie man sagt, ist reiner Zufall. Elmar Kraushaar

„Ein Ort, überall“, Hrsg. Frank Heibert, Magnus-Verlag, 28 DM

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